069 - Ein gerissener Kerl
über die Brücke von Westminster. Du lehnst dich sorglos über das Geländer — etwas fällt ins Wasser, aber nur etwas. Und einiges, das du fallen läßt, plumpst nicht ins Wasser! Einige Kleinigkeiten fand ich auf einem Mauervorsprung der Brücke!«
Er hielt seine findigen Hände empor. Julians Gesicht wurde weiß wie der Tod. Er hatte nur die Kraft, auf den grinsenden Menschen zu starren, der mit seinen kurzen Wurstfingern höhnisch vor ihm herumfuchtelte. »Diese netten kleinen Dinger liegen wohlgeborgen in meinem Geldschrank in Greenwich. Als ich in mein trautes Heim kam, habe ich sie genau untersucht und dann in meinen Safe gesteckt. Eines Tages ...« Er fuchtelte mit seinen Händen so dicht vor Julians blassem Gesicht herum, daß dieser den leichten Luftzug aus ihrer Bewegung spüren konnte.
»Eines Tages wird dieser Julian vielleicht von Ursula Frensham als von seiner Braut sprechen. Dann werde ich sagen: ›Nein, mein Lieber, diese Märchenprinzessin ist nicht für dich, sondern für — das gemeine Schwein.‹ Du hast meine schönen Bilder vernichtet. Glücklicherweise habe ich noch andere zu Hause. Sonst würde ich dich schon jetzt ans Messer liefern — du — Bilderstürmer!«
Er hielt keuchend inne. Julian sagte nichts. Sein Gesicht war wie versteinert. Nur in den glühenden Augen brannte der Haß. Er hätte gern Fragen gestellt. Doch er wagte nicht, diesen triumphierenden Unhold zu bitten. Auch vertrugen die Dinge, um die es ging, keine lauten Worte. Wider Erwarten wurde Rex Guelder plötzlich versöhnlich.
»Wir wollen nicht so unangenehme Geschichten erörtern«, sagte er besänftigend. »Wir wollen sie vergessen. Wir beide müssen miteinander auskommen. Du brauchst mich, mein Freund, und ich brauche dich. Wir sind eine ideale Verbindung. Wir haben die Zukunft vor uns, die große Zukunft! Die ganze Nacht hindurch habe ich mir für dich den Kopf zerbrochen. Jetzt sehe ich genau den Weg. Du mußt deine Angelegenheiten ordnen. Es darf nicht den Schatten eines Skandals geben. Wir müssen Geld auftreiben - ich werde Geld auftreiben -, die Leute dürfen sich nicht zuflüstern: ›Reef ist kaputt!‹«
Julian befeuchtete seine trockenen Lippen und bemühte sich, seiner zitternden Stimme Festigkeit zu geben.
»Wo soll das Geld herkommen?«
Guelder grinste ihn an.
»Wer ist dieser Mensch, der mit fünfundsechzig- oder fünfundsiebzigtausend Pfund um sich wirft, um den Pleitegeier von Lord Frensham zu verscheuchen? Wer anders als der gerissene Braid? Er soll unsere Kriegskasse auffüllen, ohne zu ahnen, daß er der Feind ist, den wir bekämpfen.«
Julian betrachtete den Mann mit eisiger Verachtung.
»Bildest du dir denn ein, Braid werde dir oder mir vielleicht solche Summen borgen?«
Der andere nickte.
»Da bist du schief gewickelt, mein Lieber. Braid würde nicht einmal den Strick bezahlen, an dem sie mich aufknüpfen.«
Guelder lachte. »So weit ist es ja noch nicht. Ich habe einen Plan ersonnen, der uns retten wird. Es ist nichts weiter dazu nötig, als daß unser Freund Braid sich weiter um seine Rennen kümmert und einige Tage seine Finger aus der Lulanga-Angelegenheit läßt.«
In diesem Augenblick kam ein Angestellter mit einem Telegramm herein. Es war an Julian gerichtet. Er öffnete es ohne übertriebene Hast und las den Inhalt. Guelder sah, wie sich dessen Augenbrauen zusammenzogen.
»Ein böser Zufall«, sagte Julian Reef.
Guelder nahm ihm die Depesche aus der Hand und las:
›Ich möchte morgen um zehn Uhr in Frenshams Büro die Angelegenheit der Lulanga-Öl-Kompanie mit Ihnen besprechen‹
Die Unterschrift lautete: ›Anthony Braid.‹
Die beiden Männer sahen sich an. Guelder schüttelte den Kopf.
»Das ist Pech«, murmelte er, »verdammtes Pech!«
12
Tony war am nächsten Morgen um neun Uhr im Büro von St. James' Street. Das Personal der Lulanga-Öl-Gesellschaft bestand jetzt nur noch aus drei Stenotypistinnen und einem alten Buchhalter, der mit Frensham ein halbes Leben lang zusammengearbeitet hatte.
»Ich habe alle Dokumente der Gesellschaft auf Ihren Tisch gelegt, Mr. Braid«, sagte er. »Leider werden Sie merken, daß wir eine etwas — leichtfertige Arbeitsmethode hatten. Nur das Aktienbuch ist in Ordnung. Das habe ich selbst geführt.«
Tony hatte sich erst kurze Zeit mit den Schriftstücken der Lulanga-Gesellschaft befaßt, als er bemerkte, daß »leichtfertig« ein sehr milder Ausdruck für Lord Frenshams Arbeitsmethode war. Er fand ungeöffnete Briefe — einer
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