0691 - Die Werwölfe aus Atlantis
Sinclair.«
»Dann könnte es sein, daß Sie Ihren Vater verdächtigen, am Tod der Katze beteiligt gewesen zu sein?«
Sie hob ihr Gesicht. Die Augen hatten wieder Leben bekommen.
Allerdings einen Glanz, der mir nicht gefiel. Er wirkte entrückt, als hätte sie etwas erlebt, was nicht sein durfte und das sich in ihren Augen niedergeschlagen hatte.
»Mein Vater ist tot…«
Ich nahm die aus vier Worten bestehende Antwort hin und dachte zunächst nicht darüber nach.
Noch einmal wiederholte sie die Erklärung.
Da wurde ich aufmerksam.
Ich starrte sie an. »Wenn er tot ist, kann er Ihnen die Nachricht nicht geschrieben haben.«
»Das stimmt.«
»Und Sie sind ganz sicher?«
»Natürlich bin ich mir sicher. Ich war dabei, als er beerdigt wurde. Ich vergesse den Tag und die Zeit des Leidens niemals.«
Ich dachte nach, weil ich meine wirren Gedankenströme zunächst ordnen mußte. Dann hob ich die Hand. »Miß Shane, ich möchte Sie jetzt etwas fragen und Sie bitten, mir eine Antwort zu geben, auch wenn es Ihnen ungewöhnlich vorkommen wird.«
»Bitte fragen Sie.«
»Wie sah Ihr Vater aus? Beschreiben Sie ihn mir.«
Nora zwinkerte mit den Augen. Mein Wunsch hatte sie fassungslos gemacht. »Wollen Sie das wirklich wissen?«
»Es ist wichtig.«
Sie hob beide Hände und knetete ihre Wangen. Ihre Mundwinkel bebten dabei. Die Erinnerung peitschte einen Sturm an Gefühlen in ihr hoch. Mit sehr leiser Stimme begann sie zu reden, ich mußte mein Gehör schon schärfen. »Er… er war nicht einmal sehr alt, Mr. Sinclair. Er war groß und hatte rötliches Haar. Er stammte aus Irland, das Haar habe ich von ihm geerbt …«
»Also nicht weißhaarig?«
»Nein, selbst im Tode nicht.«
»Er trug auch keinen Bart?«
»Richtig.«
Ich blieb weiter am Ball. »Und in seinem Schrank hing auch kein senfgelber Mantel oder Umhang?«
»Stimmt auch.« Sie lachte unsicher. »Aber warum fragen Sie mich das, Mr. Sinclair?«
Ich konnte nicht mehr sitzenbleiben, stand auf, ging zum Fenster, ohne bewußt nach draußen zu schauen, und nahm die Wanderung durch das Zimmer auf. Dabei schaute ich zu Boden, suchte nach den richtigen Worten und erzählte ihr dann, was ich auf dem Jahrmarkt erlebt hatte und daß mir ein Mann, ihr Vater, den Namen seiner Tochter übermittelte, damit ich sie besuchte.
Nora Shane hatte mir zugehört. Sie hatte kein Wort gesagt. Sie war erstarrt und glich einem Gebilde aus hellem Blei. Selbst der Sessel knarrte nicht mehr.
»Nun?« fragte ich.
»Aber das ist doch unmöglich.«
»Würde ich auch meinen.«
»Und weiter?«
»Ich habe es akzeptiert!«
Sie deutete mit dem gekrümmten Zeigefinger auf sich. »Und ich? Soll ich das auch akzeptieren?«
»Das überlasse ich Ihnen.«
Leben kehrte in ihre Augen zurück. Ein wildes, glutvolles Leben, beinahe ein kaltes Feuer. »Aber ich kann es nicht, Mr. Sinclair. Verstehen Sie das? Ich kann es einfach nicht akzeptieren, es tut mir leid. Ich habe meinen Vater im Sarg liegen sehen, ich habe…«
»Schon gut, Nora, schon gut. Dann müssen wir eben davon ausgehen, daß Sie zwei Väter haben.«
»Nein. Einer lügt.«
Ich schaute sie an. »Und welcher?«
»Das steht für mich fest. Der Mann mit dem weißen Bart, der Sie auf dem Jahrmarkt ansprach. Nur der ist der Lügner, sonst keiner.«
»Aus Ihrer Sicht haben Sie recht, Nora. Warum aber hat er mir erklärt, daß ich zu Ihnen, seiner Tochter gehen soll? Können Sie mir den Grund sagen?«
»Nein, das weiß ich nicht.«
»Das ist unser Problem.«
»Dann glauben Sie ihm mehr als mir.«
Ich lächelte. »Das weiß ich noch nicht. Aber lassen Sie uns über Ihren Vater reden.«
»Welchen meinen Sie denn?« erkundigte sie sich voller Sarkasmus.
»Den Ihren.«
»Und was wollen Sie wissen?«
Ich setzte mich wieder ihr gegenüber. »Ich möchte gern von Ihnen erfahren, was Ihr Vater für ein Mensch gewesen ist. Wie er sich verhalten hat, was er beruflich tat, welchen Hobbys er nachging…«
Sie unterbrach mich durch ein scharfes Geräusch. »Und das, meinen Sie, bringt Sie einer Lösung näher?«
»Ich muß zumindest einen Versuch wagen. Als Polizist bin ich gewöhnt, in alle Richtungen zu denken. Ich darf mich auch nicht von meinen Gefühlen leiten lassen. So schwer mir dies oft genug auch fällt.«
»Das kann ich verstehen, Mr. Sinclair.« Sie rieb durch ihre Augen.
»Aber Sie müssen auch mich verstehen: Was da auf mich eingestürmt ist, kann man als Mensch kaum akzeptieren. Es ist unerklärlich, ich kann es
Weitere Kostenlose Bücher