0691 - Die Werwölfe aus Atlantis
Licht umhüllte sie, wie der Schleier eine Traumgestalt umgab. Ob sie real war, wußte Suko nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Ihm kam Kara vor, als befände sie sich noch zwischen den Welten, auf einem Strahl dahingleitend, der die verschiedenen Zeiten miteinander verband und dabei eine Brücke bildete.
Sie tat nichts, sie zog nicht ihre Waffe, das Schwert mit der goldenen Klinge, und sie sprach auch Suko nicht an. Der Inspektor ging deshalb davon aus, daß sie ihm noch eine gewisse Zeit lassen würde, bis sie selbst angriff.
Diese Spanne wollte er nutzen und wandte sich an den Jungen.
»Ist sie es gewesen, die du mir zeigen wolltest?«
Er nickte.
»Du kennst sie?«
Er nickte wieder.
»Woher kennst du sie?«
Endlich gab er eine Antwort. Das Licht hatte sich soweit ausgebreitet, daß es auch die beiden einsamen Gestalten erfaßte und sie aussehen ließ wie fragile Kunstwerke aus Glas. »Wir alle kennen sie. Wir alle in der Familie.«
»Woher?«
»Ich weiß es nicht. Es ist mir nie gesagt worden, aber sie erschien und warnte vor einer Gefahr.«
»Allgemein – oder hat sie einen Namen?«
»Kann sein.«
»Willst du ihn nicht sagen?«
Er nickte.
Suko hakte auch nicht weiter nach. Wenn Kara sich voll und ganz materialisierte, würde sie ihm auch erklären, welche Gefahr in der Nähe schwebte und darauf wartete, zuschlagen zu können.
Zwar verringerte sich die Distanz zwischen ihnen, aber Suko hatte trotzdem den Eindruck, als würde sie gleich bleiben. Nur die Umrisse schälten sich stärker hervor. Er sah ihnen an, daß sie an den Seiten normal fest geworden waren.
Und Kara blieb stehen.
Noch immer umhüllt von diesem seltsamen Licht, das seinen Ursprung auch in den Flamenden Steinen haben konnte, dieser magischen Welt, in der Kara und Myxin lebten.
»Gleich wird sie etwas sagen!« wisperte der Junge und legte seine Hände flach gegeneinander, als wollte er beten. Möglicherweise sah er in Kara so etwas wie einen Engel, einen Geist, der ihn, das Kind, beschützen sollte.
Suko blieb sitzen. Er glaubte daran, daß es falsch war, wenn er sich jetzt erhob und zu ihr ging. Er wollte auch nicht als erster reden, denn er ging davon aus, daß Kara das Gespräch einleiten würde.
Und so war es dann auch.
»Ich freue mich, daß einer von euch erschienen ist.«
Der Inspektor lächelte. »Können wir dir je einen Wunsch abschlagen, Kara?«
Sie hob die Brauen und strich mit der rechten Handfläche über den Schwertgriff. Suko war fest davon überzeugt, daß sich die Luft verändert hatte, sie war nicht mehr so stickig und muffig, sondern jetzt viel klarer und besser zu atmen.
»Diesmal ist einiges anders, Suko. Es geht um eine große Gefahr, vor der ich euch warnen will.«
»Hat sie einen Namen?«
»Erst später. Noch ist sie namenlos. Aber die Kraft eines Mächtigen wird immer stärker. Sie hat bereits zwei Menschen vernichtet und befindet sich auf dem Weg zum Ziel. Du oder John – ihr beide jedenfalls müßt den Mann mit dem weißen Bart finden.«
Suko nickte. »Wer ist das?«
»Der Diener!«
Suko wunderte sich. »Der Diener?« wiederholte er, »wem dient er denn?«
»Semerias!«
Auch mit dieser Antwort konnte der Inspektor nicht viel anfangen.
Er hatte den Namen noch nie gehört. »Wer ist das, dieser Semerias?«
Kara gab eine klare Antwort. »Ein Götze, ein gefährlicher Gott. Man nennt ihn auch den Herrn der Schattenburg.« Was sie dann sagte, war schwer zu begreifen. »Eigentlich ist er nicht mehr, aber er ist trotzdem noch vorhanden.«
»Das kann doch nicht sein!«
Sie nickte. Dabei sah es aus, als wollte sie das geheimnisvolle Licht, in dem sie stand, bewegen. »Du mußt nur anders denken. Er ist nicht mehr, und er ist trotzdem. Er ist als Erbe vorhanden. Sein Bild existiert noch, du kannst es sehen.«
»Wo?«
»Nicht hier, nicht bei mir, Suko, sondern auf einer alten Münze. Sein Diener ist in den Besitz der Münze gelangt, sie gehört ihm, und so hat es der Diener geschafft, einen Kontakt zu ihm herzustellen. Die Münze soll Semerias herbeiholen. Sie ist in der Lage, seinen Geist zu aktivieren. Sie kann verändern, denn seine Kraft steckt in ihr. Sie ist ungemein stark, weil so konzentriert. Sie schafft es, Menschen zu verändern. Sie kann aus ihnen Bestien machen, aber sie kann auch vernichten, wie sie schon bewiesen hat. Die nächste Nacht wird entscheidend werden, darauf mußt du dich einstellen.«
»Gut«, sagte Suko und nickte. »Ich gebe dir völlig recht, Kara. Nur – wo soll
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