0691 - Schwester der Nacht
traditionell nur Rappen benutzte.
Die Männer stiegen in die Sättel ihrer schwarzen Pferde und richteten die tänzelnden Tiere in Reih und Glied aus.
Allerdings waren die Rosse in dieser Nacht besonders unruhig. So, als würden sie eine drohende Gefahr wittern. Doch die Soldaten verhielten sich diszipliniert. Sie ahnten nichts Böses.
Als Capitaine Georges Bourdelle aus der Schreibstube stiefelte, ging ein Ruck durch die Mannschaft.
»Melde erste und zweite Escadron vollzählig angetreten, mon Capitaine!«, rief der Adjutant.
»Gut, sehr gut.«
Die Stimme des Offiziers kam den Soldaten fremd vor. Vielleicht war er ja krank? Im fahlen Schein der Öllampen des Gevierts am Palais du Luxembourg wirkte seine Gesichtsfarbe fast grau.
Der Vampir in der Offiziersuniform marschierte auf die berittenen Soldaten zu. Die Pferde wurden immer unruhiger. Sie spürten, dass sie eine Kreatur vor sich hatten, die nicht in diese Welt gehörte…
Die Kavalleristen blickten starr geradeaus, wie es Vorschrift war.
Doch die meisten von ihnen bemerkten, dass sich außerhalb der beleuchteten Plätze etwas tat. Man hörte Bewegungen im Dunkel. Schlichen sich Feinde an? Aber es waren ja überall Wachen aufgestellt. Man befand sich hier schließlich mitten in Paris, der Hauptstadt des Reiches.
Trotzdem raschelte und knackte es im Schutz der Nacht.
»Soldaten!«, schnarrte Capitaine Bourdelle. »Ich werde euch heute Nacht ein Geschenk machen, das wertvoller ist, als alles, was ihr euch vorstellen könnt!«
Die Gardisten rissen gespannt die Augen auf. Was das wohl sein konnte? Urlaubsscheine für drei Wochenenden hintereinander? Zehn Gutscheine für Besuche im zentralen Militärbordell von Paris?
»Ich werde euch etwas schenken, was mir selber erst vor kurzem zuteil wurde«, fuhr der Vampir in Uniform fort. »Das ewige Leben!«
Die letzten Worte hatte Capitaine Bourdelle gebrüllt.
Er stürzte sich auf den völlig überraschten Adjutanten und rammte dem jüngeren Offizier seine Reißzähne in die Halsschlagader. Diese Attacke war das Angriffssignal gewesen.
Plötzlich waren sie überall.
Vampire.
Es mussten ein Dutzend oder mehr sein.
Manche trugen die Lumpen von Clochards, andere waren zu Lebzeiten Dienstmädchen, Apachen oder normale Bürger gewesen. Sie alle gehörten jedenfalls zu den willigen Sklaven von Vivien Lafayette.
Und auch die Schwester der Nacht selbst beteiligte sich an dem Angriff.
Mit ihren übermenschlichen Kräften stürzten sich die Blutsauger auf die Kavalleristen.
Obwohl die Höllenkreaturen zahlenmäßig unterlegen waren, hatten die Soldaten keine Chance. Innerhalb von zwei Minuten waren mehr als zehn Kaisergardisten mit dem vampirischen Keim infiziert worden.
Das Blutschlürfen übertönte fast das verängstigte Wiehern der Rappen. Die Tiere waren verrückt vor Furcht. Trotzdem ging kein einziges von ihnen durch. Die eingedrillte Disziplin der Militärpferde siegte schließlich doch.
Wie Blut saugende Affen sprangen die Vampire die in den Sätteln sitzenden Soldaten an. Der eine oder andere Gardist schaffte es sogar, seinen schweren Kavalleriesäbel zu ziehen und sich damit zur Wehr zu setzen.
Doch was nützten diese Waffen gegen übernatürliche Kräfte?
Der Kampf war kurz, aber heftig. Nach weniger als einer Viertelstunde war es vorbei. Keiner der Soldaten war von dem Angriff verschont geblieben. Sie alle wurden zu Geschöpfen der Nacht.
Die Vampire waren zufrieden. Die meisten von ihnen hatten kaum jemals so viel Blut von jungen, kräftigen Männern auf einmal getrunken.
Die Schwester der Nacht trat neben Capitaine Bourdelle und tätschelte ihm die feiste Wange.
»Brav gemacht, mein Guter! Jetzt haben wir die passende Truppe zusammen, um den Kaiser endlich zur Hölle zu jagen!«
Der vampirische Offizier lachte.
»Ja, niemand wird Verdacht schöpfen, wenn ich mit den beiden Escadronen in Versailles eintreffe, um die jetzige Wache abzulösen.«
»Ich begleite euch in meiner Kutsche!«, entschied die Schwester der Nacht. »Ich will das Blut des Kaisers höchstpersönlich trinken, bevor wir den Thron für den Herrscher des Blutes frei machen!«
Der Capitaine verbeugte sich ergeben. Er wollte noch etwas sagen.
Aber in diesem Moment ertönte ein gellender Schrei.
»Alarm!«
***
Nicole Duval war über das Erscheinen des amerikanischen Marineinfanteristen verblüfft. Allerdings nicht zu sehr. Dafür hatte sie bei ihren Abenteuern mit Zamorra schon zu viele unglaubliche Dinge erlebt.
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