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0695 - Hexentod

0695 - Hexentod

Titel: 0695 - Hexentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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realistischer wurden die Bilder. Jetzt entzogen sie sich Zamorra nicht mehr, wenn er sich darauf konzentrierte, sondern blieben stabil. Diese Projektion aus der Vergangenheit hatte die Gegenwart endgültig überlagert.
    Oder war es umgekehrt? Hatte die Gegenwart sich in der Vergangenheit verloren? Erlebte Zamorra tatsächlich eine Zeitreise in die Epoche des Königs Minos oder seiner direkten Vorgänger und Nachfolger?
    Er konnte es nicht unterscheiden.
    Und seltsamerweise berührte es ihn auch nicht sehr. Er war wie gefangen von dem Anblick der Stiere und der Tänzer, die nicht müde zu werden schienen, deren Spannkraft keine Sekunde lang nachließ, obgleich sie nun doch schon geraume Zeit um ihr Leben sprangen.
    Einer der Jünglinge schaffte es nicht. Er griff falsch oder zu spät zu. Sein Todesschrei ging unter im Donnerhall des Trockengewitters, das nach wie vor tobte und die mit seinen ständig zuckenden Blitzen die Nacht zum Tage machte.
    Die Götter hatten ein Opfer angenommen.
    Der von den Stieren aufgewirbelte Staub überdeckte die blutige Masse, die von dem hufzerstampften Unglücklichen zurückblieb, und niemand schien ihn zu vermissen, niemand beging den selbstmörderischen Fehler, sich nach ihm umzusehen, der Tanz wurde nicht abgebrochen, ging in unvermindertem Tempo weiter.
    Zamorra musste sich zwingen, seinen Blick von dem fantastischen Bild abzuwenden, dem - eben fast - perfekten Zusammenspiel aus vollendeter menschlicher Schönheit und unbändiger tierischer Kraft. Er sah zu den Eingangssäulen des Tempels, sah die dort stehenden Gestalten, die jetzt ebenfalls stabil blieben. Priester und Priesterinnen? Der König zwischen ihnen? Einige der Gestalten trugen lange, weiße Gewänder, andere nur Tücher um die Lenden, wieder andere bewegten sich völlig unbekleidet. Stiertänzer-Nachwuchs? Tempelsklaven?
    Zamorra vermochte es nicht zu sagen. Der Tempel war so nah und doch so weit fort.
    Zu ihren Füßen bewegte sich Gewürm.
    Schlangen!
    Und nicht nur am Tempel selbst, sondern auch im Inneren des Kreises, den die rasenden Stiere um den Halbmond zogen. Überall waren sie, auch rund um Zamorra und die anderen herum. Vielleicht nur dort nicht, wo die Stiere stampften.
    Es war eine unglaubliche Vielfalt. Zamorra glaubte sich in eine Schlangengrube versetzt, aber es war nahezu unvorstellbar, dass all diese verschiedenen Kriechtiere sich untereinander vertrugen, noch unvorstellbarer jedoch, dass einige von ihnen überhaupt auf diesem Landstrich existierten. Sollte es in ferner Vergangenheit doch schon Kontakte zwischen den verschiedenen Kontinenten gegeben haben, oder wurde Zamorra in diesem Punkt nur etwas vorgegaukelt, das einer schlecht informierten Fantasie entsprang?
    Aber alles war so echt… als er eine der Schlangen mit dem Fuß berührte, zuckte sie zischend zurück, und einen Augenblick lang glaubte er, sie werde zustoßen und ihm die Giftzähne ins Bein schlagen.
    Doch sie tat es nicht; sie wich vor ihm zurück.
    So wie die anderen sich ihm nicht näherten.
    Nicht ihm - und nicht der Baba Yaga.
    Riesenschlangen der Spezies Boa constrictor, Schwarze Rennschlangen, Puffottern, Peitschenschlangen, Königskobras, Diamantklapperschlangen… alles, was gefährlich oder giftig war, gab sich hier ein Stelldichein.
    Und es mussten Hunderte sein -eher Tausende, denn sie bedeckten nicht nur den Innenkreis des Festplatzes, sondern teilweise auch den Tempelboden. Zamorra sah, wie eine der Riesenschlangen sich um den Körper einer nackten Tempeldienerin wand. Aber nicht sie erdrückend, sondern fast zärtlich, sanft, einem lebenden Schmuckstück gleich.
    Einem der Priester hatte sich eine kleinere Schlange um den Hals gelegt. Ihr Kopf pendelte nahe vor seinem Gesicht; ihre gespaltene Zunge bewegte sich rasch hin und her, berührte die Zungenspitze des Priesters, der sie der Schlange entgegenreckte.
    Er öffnete den Mund weiter, und der Kopf der Schlange glitt langsam hinein…
    Zamorra schloss die Augen. Er wollte das nicht sehen. Aber dann öffnete er sie wieder, weil es ihn faszinierte.
    Der Mund des Priesters gab die Schlange wieder frei. Jäh fiel sie von ihm ab, und Zamorra sah, wie sie auf ein nacktes Tempelmädchen zu kroch und sich dann langsam um eines ihrer Beine wand und allmählich empor kroch; der Priester lächelte, und die Nackte erwiderte sein Lächeln, als die Schlange ihr Ziel erreichte…
    Zamorra selbst wichen die Schlangen aus, machten ihm Platz, wenn er sich ein paar Schritte weit in dem

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