0696 - Im Bann des Verfluchten
angesprochen hatte.
Hinter ihm hatte mehr gesteckt.
Die Mercier war nicht zu einem Raubtier geworden, sondern hatte das Kätzchen gespielt und versucht, den Deutschen zu umgarnen. Wie groß ihre Erfolgschancen dabei gewesen waren, hatte sie nicht abschätzen können, denn einen Tag später hatte man diesen Bernd Assow mit gebrochenem Genick im Glockenturm der Kirche gefunden.
Das wiederum passte ihr überhaupt nicht in den Kram. Wenn er für eine Behörde gearbeitet hatte, würde die den Tod eines ihrer Mitarbeiter nicht so ohne weiteres hinnehmen und anders reagieren als die französische Polizei, die an einen Unfall glaubte.
Colette nicht.
Für sie war es Mord!
Also lief wahrscheinlich in La Rostelle ein Mörder herum, den sie nicht kannte und der auch nicht unbedingt auf ihrer Seite stand, denn einen Gefallen hatte er ihr mit dieser Tat nicht getan, sondern sie verunsichert.
Überhaupt hatten sich die Bewohner seit ihrem letzten Besuch verändert. Selbst ihre Eltern waren so schweigsam geworden und wollten zunächst nicht mit der Sprache herausrücken.
Schließlich hatte sie ihren Vater in einer stillen Stunde beiseite gezogen, und der hatte ihr von den verschwundenen drei Mädchen berichtet, von denen niemand wusste, ob sie noch lebten oder längst umgebracht worden waren.
Auch diese Tatsache bereitete der Computer-Expertin Sorgen, und sie fragte sich, ob sie richtig gehandelt hatte oder ihren Plan nicht lieber abändern sollte. Aber La Rostelle war ihr am wenigsten verdächtig erschienen für ein Treffen mit zwei wichtigen Männern, um mit ihnen über gewisse Marktchancen zu reden, die sich im Osten Europas zwangsläufig ergeben würden. Die Menge an Stoff war vorhanden, es musste nur noch der Transport sorgfältig organisiert werden.
Sie hatte nicht mehr absagen können, ärgerte sich, dass so viel schief gelaufen war, und ausgerechnet an diesem Tag fegte auch noch dieser verfluchte Mistral über das Land, der die Menschen unruhig und nervös machte, wovon sich die Frau nicht ausschloss.
Colette hatte sich im Bistro mit den beiden treffen wollen. Das kleine Lokal konnte einfach nicht übersehen werden, es lag in der Ortsmitte am Marktplatz, war von der Kirche, dem Rathaus und einigen anderen Häusern eingerahmt und nannte sich nur Centre.
Es gab auch andere Kneipen und kleine Weinlokale, aber man traf sich eben im Centre.
Dort wartete Colette Mercier.
Eigentlich hätten die beiden schon da sein müssen. Sie kamen aus Nizza, aber der Mistral war für manche Überraschung gut, auch für eine richtige Verspätung.
Sie saß nahe des Fensters, schaute auf den Platz und sah dem Patron zu, der fluchend hinter einigen Tischdecken herlief, die der Wind von den Tischen draußen gerissen hatte, als er die Stühle zusammenstellen wollte, aber nicht mehr schnell genug gewesen war.
Manchmal sah Colette ihr Gesicht in der Scheibe. Das spiegelnde Glas ließ kaum etwas von dem Ausdruck ahnen, den dieses Gesicht unter den schwarzen, krausen Haaren wiedergab. Sie hatte sich oft genug über die rundlichen Umrisse ihres Gesichtes geärgert, weil es dadurch zu mädchen- und puppenhaft aussah. Aber sie konnte diese Form ja auch nicht ändern. Deshalb schminkte sie sich dermaßen raffiniert, dass der Blick eines Betrachters vom eigentlichen Gesicht weg auf die Augen gelenkt wurde, deren Pupillen sie durch ein bestimmtes Augenwasser vergrößerte und glänzend machte. Beim Lidschatten spielte sie mit der Farbe, und der dicke Lidstrich ließ die Augen besonders dominierend wirken.
An diesem Tag war sie sportlich gekleidet. Zum dunklen Haar trug sie ein hellgrünes T-Shirt, eine schwarze Hose und eine weiße Leinenjacke, die bis über die Hüften reichte. An ihren Ohrläppchen blinkten zwei ebenfalls grüne Ringe, die ein kleines Vermögen gekostet hatten. Aber Colette konnte sich diese Dinge leisten, denn die Organisation zahlte gut.
Sie war nervös. Am linken Handgelenk trug sie eine Uhr von Cartier. Immer wieder schaute sie auf das Zifferblatt, aber sie schaffte es nicht, die Zeit schneller ablaufen zu lassen und die beiden Besucher herbeizuzaubern.
Der Patron hatte es geschafft, die Tischdecken wieder einzusammeln. Er grinste ihr durch die Scheibe zu, betrat sein Bistro und fluchte über den Mistral, dessen Kraft ihm beinahe die Türklinke aus der Hand gerissen hätte.
»Dieser Wind bringt mich noch mal um!«, schimpfte er.
»Wieso?«
»Ganz einfach. Da drehe ich durch. Da habe ich das Gefühl, als würde sich
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