0696 - Im Bann des Verfluchten
eine gute Technik auch mal stärker sein kann.
Dabei war die Landung in Nizza bei diesen Böen schon schlimm genug gewesen. Die Tragflächen hatten gewackelt wie die Arme eines Seiltänzers, der sich um sein Gleichgewicht bemühte. Hinzu waren die Stöße gekommen, die unsere Maschine erschüttert hatten.
Wir hatten alles überstanden, letztendlich auch die Fahrt mit dem Wagen nach La Rostelle, einem Ort, der in den Seealpen lag und auf uns den Eindruck machte, als wäre er aus dem Gestein und Felsen herausgewachsen.
Aus größerer Entfernung sah es so aus, als gäbe es überhaupt keine Zufahrt nach La Rostelle. Die Straße schien irgendwo zwischen den Felsen zu enden. Doch die Natur hatte Lücken gelassen, die von den Ingenieuren ausgenutzt worden waren, und so führte die Strecke um Kurven, schmale Stellen, an Abgründen vorbei, und auch über kleine Brücken hinweg bis zum Ziel.
La Rostelle war ein Ort in den Bergen, nur selten von Touristen besucht. Er lag relativ hoch und wurde von zerrissenen Felswänden abgeschirmt.
Aber nicht gegen den Mistral, denn der hatte es geschafft, in die Gassen einzudringen. Er durchwehte sie, als wären sie Kamine, er heulte, er jammerte, er tobte, er schleuderte Abfall vor sich her und drehte das Zeug zu Kreisen, und er rüttelte an all den Dingen, die nicht bombensicher befestigt waren.
Von Straßen konnten wir nicht sprechen. Was den Ort durchzog, waren Gassen, meist gepflastert mit holprigen Kopfsteinen. Die Gehsteige fehlten, denn für sie war kein Platz mehr vorhanden.
Zwar wirkte La Rostelle nicht gerade wie ein Geisterort, aber Menschen sahen wir kaum. Nur einmal kämpften zwei junge Männer gegen den Sturm an, sie schlichen geduckt an einer Hauswand entlang.
Ich sah Sukos Gesicht an, was er dachte. Hier waren wir am Ende der Welt gelandet.
Ich fuhr, konnte mich deshalb nicht umschauen, aber Sukos Kopf bewegte sich ständig. Er suchte nach irgendwelchen Fixpunkten, vielleicht auch nach einem Parkplatz.
Nun befanden wir uns nicht zum ersten Mal in einem Ort wie diesem. Wir wussten auch, wo es in den kleinen Bergdörfern etwas mehr Platz gab. Und war der Ort auch noch so klein, ein Marktplatz war immer vorhanden, und der lag stets im Zentrum.
Da rollten wir hin.
Alle Straßen führen bekanntlich nach Rom, und in La Rostelle mussten wir irgendwann zwangsläufig auf einen Marktplatz treffen. Getäuscht hatten wir uns nicht.
Nach einer Kurve bekamen wir große Augen. Da bildete sich am Ende der Straße ein kleiner Platz, auf dem sogar noch ein Brunnen stand, der allerdings kein Wasser abgab.
Hier sahen die Häuser etwas anders aus. Sie waren höher, sie wirkten amtlicher, aber zwischen ihnen verteilten sich auch kleine Geschäfte, winzige Läden, voll gestopft mit allem möglichen Krimskrams.
Es gab ein Café, das relativ große Bistro war ebenfalls vorhanden, und alles wies darauf hin, als würde man sich hier treffen, wenn man unter Leute gehen wollte.
Wir konnten uns den Parkplatz aussuchen und stellten den Leihwagen vor den Brunnen. In seiner Mitte stand eine große Frauengestalt, die ihren steinernen Kopf gesenkt hatte.
Wir stiegen aus.
Sofort packte uns der Wind.
Ich hatte genug über den Mistral gehört. Dieser trockene Wind raste das Tal der Rhone hinunter, wenn im Golfe du Lyon ein Tiefdruckgebiet entstand und kühle kontinentale Luft ansog. Dabei wurde der Luftstrom durch das enge Tal zwischen den Cevennen und den Alpen wie durch eine Düse verstärkt.
Wenn Mistral herrschte, spielten die Menschen verrückt. Wenn wir ihm länger ausgesetzt waren, würden wir sicherlich Kopfschmerzen bekommen. Der starke Wind wirbelte Staub auf, der gegen unsere Kleidung kratzte und auch über den Lack der Fahrzeuge schliff.
Wir hatten uns natürlich zuvor einen Plan zurechtgelegt und wollten als Reporter auftreten, die gleichzeitig Bekannte dieser gewissen Colette Mercier waren.
Näheres oder Persönlicheres hatten wir über sie nicht herausgefunden. Nur ihren Namen kannten wir, alles andere lag im Dunkel.
Unser Wagen stand nicht als Einziger nahe des Brunnens. Noch andere Fahrer hatten hier ihre Autos abgestellt. Mir fiel ein hellroter Mercedes auf, ein Zweisitzer mit französischem Kennzeichen. Seine schöne Farbe hatte einen hellbraunen Staubüberzug bekommen.
»Wohin?«
Ich deutete auf das Bistro. Es sah mir so aus, als könnten wir dort mehr erfahren.
Suko nickte. »Okay, reden wir mal mit den Leuten.«
Der Mistral hatte eine Atempause eingelegt.
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