0698 - Der Ghoul aus dem Gully
ertragen war.
Ein furchtbarer Leichen- und Aasgeruch, so schlimm, daß es mir übel wurde, ich mich abwenden und die Hand vor meinen Mund pressen mußte. Das war unbeschreiblich.
Durch die Nase atmete ich.
Es klappte so etwas besser. Und schließlich entschloß ich mich, wieder an den Rand heranzutreten und in die Tiefe zu leuchten. Möglicherweise hatte ich Glück, war der Ghoul noch da und klammerte sich irgendwo im Schacht fest.
Ich hatte Pech.
Nichts war zu sehen.
Der Endpunkt meiner Lampe erreichte eine Stelle, wo es schimmerte, als wäre eine dunkle Spiegelfläche angeleuchtet worden. Dabei war es nur Wasser, das sich am Grund des Schachtes gesammelt hatte.
Harry Stahl hatte mir von der Probe erzählt, die seine Leute gefunden hatten. Auch an diesen Schachtwänden sah ich den klebrigen Schleim, wie er dort festhing, als hätte man ihn angeleimt.
Zum Teil war er eingetrocknet, aber es gab auch Reste, die an ihrem Ende zitternde Tropfen gebildet hatten.
Lange konnte er noch nicht verschwunden sein. Aber wohin hatte er sich gewandt?
Diese Frage schwebte über meinem Kopf. Ich ärgerte mich, daß ich so spät den Wohnwagen verlassen hatte. Aber wer hätte das alles schon vorher wissen können?
Jedenfalls war der Ghoul schlauer gewesen als ich. Er befand sich auf Beutetour, ich hatte das Nachsehen, aber eines stand für mich fest: Auch wenn ich Harry Stahl davon berichtet hatte, daß ich durch Gänge unter Friedhöfen gekrochen war, diesen Schacht würde ich nicht benutzen, nein, das tat ich mir nicht an.
Jetzt ging es allein darum, dem Ghoul zu zeigen, daß er so leicht an kein Opfer mehr herankam…
***
Harry Stahl fühlte sich alles andere als wohl. Die Luft in dem Wagen wurde immer schlechter. Es brachte auch nicht viel, großartig lüften zu wollen, das hätte keinen Sinn gehabt, denn draußen wehte ebenfalls kaum Wind, der für eine Verteilung der Luft gesorgt hätte.
Der Tag war vorbei, der Abend meldete sich. Da der Tag sowieso düster gewesen war, würde die Dämmerung fließend in ihn hineingleiten, beinahe ohne Übergang.
Den Kommissar hatte es an seinem Tisch nicht mehr gehalten. Er war aufgestanden und an das zur Straße hinliegende Fenster getreten. Viel konnte er auch nicht erkennen, da die Scheiben von innen als auch von außen beschlagen waren.
Wenn Wagen vorbeifuhren wirkten sie wie rollende Gespensterwesen aus anderen Welten.
Von den übrigen Wohnwagen her fiel der rote Schein der Laternen in den Dunst. Die Schwaden wallten lautlos durch diese miese Fabrikgegend und schienen direkt aus den Wolken gefallen zu sein.
Auch Harry Stahl gehörte zu den Menschen, die nicht warten konnten. Das Versteck innerhalb des Wohnwagens gefiel ihm überhaupt nicht. Mochte auch der Regen aus allen Wolken nieseln, er würde sich draußen noch immer wohler fühlen als im Wagen.
Er nahm seine Lederjacke und stellte den Kragen hoch, nachdem er sie angezogen hatte.
Dann verließ er den Wagen.
Soeben hatte ein paar Meter vor ihm ein Auto angehalten. Der Fahrer drückte die Tür auf und verhandelte mit einem Mädchen. Harry blieb zunächst stehen, er wollte das ›Geschäft‹ der beiden nicht stören. Der feine Regen näßte sein dunkles Haar, und Harry sagte sich, daß es eigentlich verrückt war, hier im Freien zu stehen. Auch John Sinclair erging es ja nicht anders.
»Hau ab und mach's dir selbst!« rief das Mädchen plötzlich, bevor es wütend die Tür zuwarf.
Der Fahrer lachte. Im Fond hockten noch zwei junge Männer, die ebenfalls losgrölten. Dann rauschte der alte Opel Rekord davon. Wahrscheinlich hatten sich die jungen Leute nur einen Spaß machen wollen.
Wenig später klopfte Harry an der Tür des Wohnwagens. Das Mädchen öffnete, erkannte den Kommissar nicht sofort und öffnete routinemäßig ihren billigen Morgenmantel.
»Also bei mir bekommst du…«
»Ich weiß, was ich bei dir bekomme.« Stahl lächelte. »Aber nicht für Bezahlung.«
»Sie sind es, Kommissar.«
»Ja, ich.«
Sie schloß den Mantel. Wie die anderen Mädchen, so wußte auch sie, daß die Gegend kontrolliert wurde, und sie war darüber nicht böse. »Was kann ich denn sonst für Sie tun?«
»Nichts weiter. Ich wollte nur fragen, ob alles in Ordnung ist.«
»Das ist schon okay. Nur das Wetter nicht. Diese Nacht wird beschissen lang.«
»That's Life. Such dir einen anderen Job. Da hättest du längst Feierabend.«
»Ja, aber keine Kohle.«
»Verdienst du denn heute mehr?«
»Nicht alle Tage sind
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