07 - Asche zu Asche
Strömung von Osten nach Westen.
Unablässig den Namen ihres Sohnes rufend, warf Jean Cooper sich an die Mauer und wollte sich an dem Geländer hochziehen. Lynley riß sie zurück und schob sie zu Barbara. »Rufen Sie die Flußpolizei.« Er zog seine Jacke aus und schlüpfte aus seinen Schuhen.
»Die sind an der Waterloo-Brücke«, protestierte Barbara, während sie mit Jean Cooper kämpfte, die versuchte, sie abzuschütteln. »Das schaffen die nie rechtzeitig.«
»Tun Sie's trotzdem.« Lynley kletterte auf die Mauer und zog sich zum Geländer hoch. Unten im Fluß mühte sich der Junge, von der Strömung und seiner Erschöpfung behindert, vergeblich zu schwimmen. Lynley ließ sich auf die andere Seite des Geländers hinunter. Jimmys Kopf verschwand im trüben Wasser.
Lynley sprang. Er hörte Barbara rufen: »Verdammt noch mal! Tommy!«, als er ins Wasser tauchte.
Es war eiskalt wie die Nordsee. Die Strömung war schneller, als er es vermutet hätte. Der Wind wühlte das Wasser auf. Durch die Strömung der Flut entstand ein starker Sog. Sobald Lynley nach seinem Sprung ins Wasser auftauchte, spürte er, wie er nach Südwesten getragen wurde, in den Fluß hinein, aber nicht zum anderen Ufer.
Er peitschte das Wasser mit den Armen, um nicht unterzugehen, und hielt nach dem Jungen Ausschau.
Drüben am arideren Ufer konnte er die Fassade der Marineakademie sehen, westlich von ihr die Masten der Cutty Sark. Sogar die Kuppel über dem Eingang zur Fußgängerunterführung nach Greenwich konnte er erkennen. Aber Jimmy sah er nirgends.
Er ließ sich von der Strömung erfassen, wie sie gewiß auch den Jungen erfaßt hatte. Dröhnend klangen ihm sein Herzschlag und sein Atem in den Ohren. Seine Glieder fühlten sich bleischwer an. Verschwommen hörte er Schreie vom Park, aber er konnte nicht verstehen, was die dort drüben ihm zuriefen.
Unablässig drehte und wendete er sich im Wasser, das ihn mit sich forttrug, und versuchte, Jimmy zu finden. Nirgends waren Boote, die ihm hätten zu Hilfe kommen können. Die Vergnügungsdampfer verkehrten bei solcher Windstärke nicht. Die einzigen Boote, die in der Gegend unterwegs waren, waren zwei Lastkähne, die langsam flußaufwärts tuckerten. Und sie waren mindestens dreihundert Meter entfernt, zu weit, um sie anzurufen.
Eine Flasche trieb schaukelnd an ihm vorüber. Mit dem rechten Fuß trat er gegen etwas, das sich wie ein Netz anfühlte. Er begann mit der Flußströmung zu schwimmen, hielt auf Greenwich zu, wie vermutlich Jimmy es auch tat.
Er hielt den Kopf gesenkt. Versuchte mit regelmäßigen Stößen zu schwimmen. Zwang sich, ruhig und regelmäßig zu atmen. Seine vom Wasser bleischweren Kleider zogen ihn nach unten. Er kämpfte dagegen an, aber die Anstrengung ermüdete ihn rasch. Er war zuviel gelaufen, zuviel gesprungen und geklettert. Er schluckte Wasser. Er hustete. Er spürte, wie er sank. Er wehrte sich dagegen, kam wieder hoch. Schnappte nach Luft. Spürte, wie er erneut in die Tiefe gezogen wurde.
Unter der Oberfläche war fast nichts. Dunkelheit.
Luftbläschen, die aus seinen Lungen entwichen. Ein Strudel, in dem Hölzchen und Blätter kreiselten. Endloses Grün auf Weiß auf Grau auf Braun.
Er dachte an seinen Vater. Beinahe konnte er ihn sehen, an Deck der Daze, wie er aus der Lamora-Bucht hinaussegelte. Er sagte: »Der See darfst du niemals trauen, Tom. Sie verrät dich, wenn du ihr nur die kleinste Chance gibst.« Lynley wollte einwenden, daß dies nicht die See war, sondern ein Fluß. Wer, in Gottes Namen, konnte so dumm sein, in einem Fluß zu ertrinken? Doch sein Vater mahnte: »Ein Fluß, der den Gezeiten unterworfen ist. Die Gezeiten kommen von der See. Nur ein Narr traut der See.« Und das Wasser zog ihn in die Tiefe.
Es wurde schwarz um ihn. In seinen Ohren war ein Tosen. Er hörte die Stimme seiner Mutter und das Lachen seines Bruders. Dann sagte Helen klar und deutlich: »Ich kann dir doch nicht die Antwort geben, die du dir wünschst, nur weil du sie dir wünschst.«
Du meine Güte, dachte er. Immer noch diese Ambivalenz. Selbst jetzt, da es völlig nebensächlich war. Sie würde sich niemals entscheiden. Sie würden niemals bereit sein. Zum Teufel mit ihr. Zum Teufel.
Voll Zorn schlug er mit beiden Beinen aus. Er peitschte die Arme durch das Wasser. Er brach durch die Oberfläche. Hustend, nach Luft schnappend, schüttelte er sich das Wasser aus den Augen. Er hörte den Jungen.
Jimmy schrie. Er befand sich etwa zwanzig Meter weiter
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