070 - Neues vom Hexer
eine Höflichkeit den anderen Gästen gegenüber wäre, abends einen Smoking anzuziehen.
»Solche Verrücktheit«, polterte er. »Das paßt doch nicht mehr in unsere Zeit! Das ist ein Snobismus, der die Klassenunterschiede betonen will! Ich habe dreiundzwanzig Jahre in Leytonstone gelebt und mir niemals abends einen schwarzen Kittel angezogen, höchstens, wenn ich irgendwo eingeladen war. Warum soll ich mir denn hier diese Mühe machen, wo ich mich doch erholen will? Es ist geradezu skandalös! Ich zahle überall mein gutes Geld, wo ich wohne. Hier muß ich siebenundzwanzig Schweizer Franken zahlen, und wenn ich mich dafür nicht einmal kleiden kann, wie ich will, werde ich mir eben ein anderes Hotel suchen. Ich möchte wissen, warum ich mich wie so ein verdammter Kellner anziehen soll!«
Mr. Hollander sah das spöttische Lächeln in den Zügen des Oberkellners, obwohl sich der Mann den Anschein gab, nicht zuzuhören.
»Da haben Sie vollkommen recht«, pflichtete er bei. »Wenn ich mich ankleiden will, dann kleide ich mich an, und wenn ich es nicht will, dann lasse ich es eben bleiben.«
»Sehen Sie, Sie sind ein vernünftiger Mann«, erklärte Mr. Welks.
Hollander nahm ihn am Arm und ging mit ihm zur Bar.
»Wenn Sie irgendwelche Unannehmlichkeiten hier im Hotel haben sollten, dann halte ich selbstverständlich zu Ihnen. Mr. Pilking ist auch ein tadelloser Kerl. Der ist ebenso wie ich Amerikaner und vollkommen unserer Meinung.«
Sie stießen miteinander an, und Mr. Welks nahm die Einladung zum Abendessen in dem Wohnzimmer Mr. Pilkings an.
Die beiden anderen kamen wie von ungefähr auch an die Bar, um diese Einladung zu bestätigen. Eine Stunde lang führte Mr. Welks das große Wort und sprach von seinen Baukontrakten, von dem Geld, das er während des Krieges verdient hatte, und von den traurigen Verhältnissen seiner Konkurrenten, die es nicht so gemacht hatten wie er. Der Mann war derart egozentrisch, daß er nur von sich und seinen Angelegenheiten reden konnte, und er war auch so naiv, daß er glaubte, alle Leute müßten sich dafür ebenso interessieren wie er.
Nachdem er gegangen war, begab sich Dr. Morane auf sein Zimmer, um noch einige notwendige Vorbereitungen für das Essen und das Spiel zu treffen, das sich daran anschließen sollte. Er drückte die Klinke der Wohnzimmertür herunter, fand sie aber verschlossen. Im selben Augenblick hörte er drinnen ein Geräusch, als ob ein Stuhl umgeworfen würde. Bevor er zur Bar hinuntergegangen war, hatte er das Licht brennen lassen, und als er sich jetzt bückte und durch das Schlüsselloch sah, war es vollkommen dunkel in dem Zimmer.
Er ging zur Tür seines Schlafzimmers, aber auch diese war von innen verriegelt. Bei Pilkings Schlafzimmer, das nebenan lag, hatte er mehr Glück, denn die Tür war nicht verschlossen. Er trat ein und machte Licht. Die Verbindungstür zwischen dem Schlaf- und dem Wohnzimmer stand weit offen. Er machte auch dort Licht. Zu seinem größten Erstaunen war die Tür vom Wohnzimmer zum Korridor nicht verschlossen, und als er darauf in sein eigenes Schlafzimmer ging, konnte er dasselbe auch bei der Tür von dort nach dem Gang feststellen.
Nirgends zeigte sich eine Spur, daß jemand in dem Zimmer gewesen war. Es befand sich alles in bester Ordnung, und wenn vorher ein Stuhl umgestoßen worden war, so stand er jedenfalls jetzt wieder aufgerichtet. Kurz entschlossen öffnete Morane den großen Kleiderschrank, aber er konnte nur die Anzüge und Mäntel entdecken, die er dort aufgehängt hatte.
Schnell trat er auf den Korridor hinaus und sah einen Mann, der anscheinend von der Treppe kam, einen Augenblick stillstand, als ob er sich überlege, was er tun solle, und dann verschwand. Aber Dr. Morane hatte den Oberkellner erkannt.
Tief in Gedanken versunken kehrte er in sein Zimmer zurück und durchsuchte es aufs neue. Aber er konnte nichts finden. Nachdem er die Türen abgeschlossen hatte, öffnete er einen kleinen Koffer, der auf einem Gestell stand und über hundert Päckchen Karten enthielt. Jedes war mit einem Gummiband zusammengehalten, und alle waren sorgfältig gemischt. Auch hieran konnte er nichts Auffälliges wahrnehmen. Er verschloß den Koffer wieder, ging zu seinen Freunden und erzählte das Vorgefallene.
»Es muß jemand im Zimmer gewesen sein, und ich weiß sehr wohl, wer es war.«
Hollander schaute ihn bestürzt an.
»Vielleicht ist einer der Kellner ein Detektiv? In St. Moritz hat die Schweizer Polizei damals auch ihre
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