0700 - Assungas Zaubermantel
beschweren.
Was einmal hier gestanden hatte, war nicht mehr genau zu erkennen. Ein großes Schloß oder eine mächtige Burg konnten es nicht gewesen sein, sonst wären wesentlich mehr Überreste geblieben. Es standen einige Mauern, aber auch ein kleiner Turm, der eine fünfeckige Form auf wies, so daß Assunga der Verdacht kam, daß es sich dabei um einen Pavillon gehandelt haben könnte.
Von den Wölfen sah sie nichts. Mittlerweile rechnete sie damit, daß diese Tiere, die hier leben sollten, ins Reich der Legende gehörten. Sonst hätten sie schon längst angegriffen, denn sie mußten einfach ausgehungert sein.
Zwischen den Mauerresten wuchs das Unkraut sehr hoch. Aber es waren noch gewisse Abmessungen zu erkennen, und die Hexe ging davon aus, daß dort früher Zimmer oder kleine Salons gewesen waren. Bestimmt hatte auch ein Weg hergeführt. Im Laufe der Jahrhunderte jedoch war alles zugewuchert. Sie schob einige Zweige zur Seite und konnte sich dem Pavillon auf dem direkten Weg nähern.
Selbst der schmale Eingang war noch vorhanden. Er bestand aus einem Vorbau, dessen Dach von vier Steinsäulen gestützt wurde.
Moos und Ranken hatten sich darum gewickelt. Die Pflanzen sahen dunkelgrün und auch irgendwie fettig aus.
Im Gegensatz dazu schimmerten die Knochenreste in einem sehr weißen Farbton.
Assunga blieb stehen, als sie die Gebeine sah. Ihre Kehle war plötzlich wie zugedrückt, die Augen brannten, aber die vollen Lippen waren durch ein Lächeln in die Breite gezogen. Sie freute sich darüber, die Knochen entdeckt zu haben. Sie mußten den Menschen gehören, die den Weg gefunden hatten.
Ihr Fleisch war längst vermodert, das Blut in den Boden eingesickert, doch die Gebeine blieben.
Sie lagen da wie eine schaurige Warnung, und als die Hexe mit dem Fuß auf einen Knochen trat, da zerknackte er unter ihrem Gewicht wie ein Streichholz.
Die weißen Gebeine lagen dicht vor dem Eingang. Bis hierher hatten es die Sucher wohl geschafft, dann waren sie erwischt worden, und sie fragte sich von wem.
Doch die Wölfe?
Hatten sie die Opfer zerrissen?
Assunga drehte sich um, weil sie hinter sich ein leises Rascheln vernommen hatte. Es war nur der Wind gewesen, der mit dem trockenen Laub spielte.
Sie ging weiter auf den Eingang zu. Es war eine ungewöhnliche Kraft, die sie dorthin trieb. Sie hatte einfach das Gefühl, in den Pavillon hineingehen zu müssen, weil sie dort einer Lösung näherkam.
Sie dachte an den Mantel. Wenn er sich hier befand, dann nicht außerhalb der Ruinen, sondern in deren Mitte, und das wiederum war der Pavillon.
Sie betrat ihn.
Die alten Mauern waren noch gut erhalten. Das Fünfeck stimmte.
Nichts war zusammengefallen, selbst das Dach wies keine Lücken auf, nur durch die schmalen Fensteröffnungen konnte der Wind pfeifen.
Assunga ging nicht mehr weiter. Hätte sie das getan, wäre sie nach zwei Schritten schon in die Tiefe gefallen, denn vor ihr öffnete sich ein Schacht.
Und aus ihm quoll etwas hervor, das nicht nur feucht, sondern auch modrig roch.
Leichengeruch…
Er machte ihr nichts aus. Sie hatte lange genug im Grab gelegen und konnte sich auch jetzt noch sehr deutlich an die feuchte, widerlich stinkende Erde erinnern, die reich an Würmern und Käfern gewesen war, die es allesamt auf sie abgesehen hatten.
Bevor sie naher an den Schacht heranging, probierte sie mit dem Fuß die Härte des Boden aus.
Sie war zufrieden.
Nichts würde abbröckeln, nichts würde in die Tiefe kippen. Da konnte sie sicher sein.
Am Schachtrand blieb sie stehen.
Sie hatte damit gerechnet, in ein tiefes Dunkel zu schauen, da unterlag sie einem Irrtum.
Düster war dieser Schacht, aber sie konnte sehr deutlich den Grund erkennen, und sie sah auch, für was dieser Blutgraf Dracula ihn damals benötigt hatte.
Aus dem Schachtboden und als Gitter verteilt, ragten mehrere Pfähle hervor. Ziemlich dick, damit sie ein gewisses Gewicht halten konnten. Am oberen Ende waren sie angespitzt. Assunga strich die Haare zurück, die ihr beim Senken des Kopfes vor die Augen gefallen waren. Kein Detail sollte ihr entgehen, und sie spürte einen nicht gelinden Schauer auf ihrem Rücken, als sie sich vorstellte, was der Pavillon und dieser Schacht in der Vergangenheit alles erlebt hatten.
Noch immer war etwas zurückgeblieben. Man wußte ja, daß Dracula seine Opfer auf die Pfähle gesetzt hatte, wo sie qualvoll gestorben waren.
Reste davon sah sie noch immer.
Wahrscheinlich war es nur einem Zufall zu verdanken,
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