0702 - Das Stummhaus
zögernd.
„Na schön, das hört sich recht einfach an. Aber wie will derjenige von uns, der das Wagnis auf sich nimmt, wieder aus dem verdammten Stummhaus herauskommen? Das ist bisher noch keinem gelungen, wenn die Berichte stimmen."
„Einer von uns bleibt draußen. Er wird über Funk informiert."
„Damit hast du meine Frage nicht beantwortet."
„Es gibt auch keine Antwort darauf. Wir werden das Los entscheiden lassen, wer hineingeht."
Die Information war wichtig, nicht das Leben des einzelnen.
Sie änderten ihre Absicht, das Hotel zu wechseln, denn es lag nicht weit vom Stummhaus Nr. 23 entfernt. Auch war der Robotportier ein Typ älteren Datums und konnte unter Umständen getäuscht werden.
Abermals durchsuchten sie ihr Zimmer, konnten aber keine Veränderung feststellen. Hart sagte: „Wir haben Zeit und werden nichts überstürzen. Alles, was wir für das Unternehmen benötigen, erhalten wir von unserem Gewährsmann in Melbourne. Ich werde ihn morgen aufsuchen und die Sachen holen. Du hingegen bleibst hier und beobachtest weiter das Stummhaus. Wir müssen auf jede Kleinigkeit achten, um uns später nicht zu verraten. Studiere die Alten, die hineingelassen werden, ihre Reaktionen vorher, na, du kennst das ja."
„Wenn ich sie schon studiere, dann werde auch ich derjenige sein, der Maske macht und hineingeht", erwiderte Vester entschlossen.
Hart warf ihm einen erstaunten Blick zu.
„Warum denn das? Ich sagte doch, das Los entscheidet. Es ist so gut wie ein Todesurteil."
„Trotzdem werde ich gehen, Hart." Er grinste schwach. „Weißt du, schon aus Neugier werde ich gehen. Ich bin der erste Immune, der ein Stummhaus von innen sieht."
Hart schüttelte den Kopf.
„Du hast einen makabren Ehrgeiz, Vester. Wir reden noch darüber. Jedenfalls stehen unsere Aufgaben für morgen fest.
Achte auch darauf, ob die Alten freiwillig kommen, oder ob man welche mit Gewalt herbeischaffen muß. Das ist wichtig für die Gesamtanalyse des später zu beurteilenden Verbrechens."
„Und wie schlagen wir heute den Nachmittag tot?"
Hart gähnte.
„Was mich angeht, so schlafe ich ein wenig. Du kannst dich ja draußen noch umsehen, wenn du Lust dazu hast."
„Werde ich auch. Vielleicht entdecke ich ein gutes Restaurant."
„Gute Idee! Dann weiß ich auch, wohin ich heute abend zu gehen habe."
Am frühen Nachmittag machte Vester sich auf den Weg. Ein müßiger Spaziergänger fiel nicht besonders auf, außerdem wirkte der Ausweis in seiner Tasche beruhigend auf ihn. Jede Streife konnte ihn anhalten, sie würde nichts Verdächtiges an ihm finden. Er galt als Angestellter einer größeren Firma im Norden des Landes und verbrachte seinen Urlaub in Melbourne. Na und...?
Er schlenderte an den ersten Geschäften vorbei, die den Beginn der City verrieten. Ältere Leute bemerkte er kaum, aber viele Frauen, die ihre Einkäufe tätigten. Sie schienen mit den Rationen nicht auszukommen, die ihnen täglich ins Haus geliefert wurden. Oder sie hatten Extrawünsche.
Niemand beachtete ihn, und niemand kümmerte sich um den anderen. Jeder ging seinen eigenen Angelegenheiten nach, das war eine Selbstverständlichkeit. Und wenn sich einmal zufällig zwei Bekannte trafen, so berichtete jeder nur von sich selbst. Die Sorgen des anderen interessierten ihn nicht.
Vester durchquerte einen Park und setzte sich auf eine Bank.
Er sah hier mehr ältere Leute, die im Schein der roten Sonne saßen und die Wärme genossen, die ihnen von den Menschen nicht mehr gegeben wurde. Dafür hatte dieselbe Sonne ihnen aber auch alles genommen, was sie von ihrer Jugend her noch kannten: die Liebe.
Sie selbst konnten auch nicht mehr lieben, aber sie besaßennoch ihre Erinnerungen daran.
Ein Mann in seinem Alter näherte sich, zögerte einen Augenblick und fragte dann, ob der Platz auf der Bank noch frei sei. Vester hatte eine solche Höflichkeit nicht erwartet und gab ein wenig verwirrt seine Zustimmung, daß der Fremde sich setzte.
„Ich hoffe, ich störe Sie nicht."
„Überhaupt nicht."
„Ausgezeichnet, dann will ich Ihnen sagen, daß ich viel verdiene es mir gutgeht. Ich habe schon das dritte Kind gezeugt und einen Vertrag mit meiner vierten Frau. Meine Firma gab mir einen leitenden Posten und..."...
„Mir geht es auch nicht schlecht", unterbrach Vester, der dem Fremden am liebsten gesagt hätte, er solle sich zum Teufel scheren, auf der anderen Seite aber hoffte, vielleicht doch etwas Wissenswertes zu erfahren. Also paßte er sich schnell
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