0704 - Der Pestbringer
die Lippen zuckten, und immer wieder zog sie die Nase hoch.
»Können wir sprechen?«
Beth hatte inzwischen ein Taschentuch hervorgeholt und putzte ihre Nase. Sie tupfte auch die Augen ab, atmete laut und durch den offenen Mund, bevor sie nach der Hand ihrer Großmutter faßte, die sich mit dem Fuß einen weiteren Hocker herbeihangelte und sich dicht neben ihre Enkelin setzte.
»Bitte, mein Kind, du mußt mir alles erzählen, einfach alles. Laß nichts aus.«
»Ja, ja, ich…«
Greta Morgan ließ ihr Zeit. Dann aber, als Beth sich einigermaßen gefangen hatte, fing sie an zu sprechen. Und sie redete schnell, sie konnte ihren Gedanken mit den Worten oft nicht folgen, sprach von dem jungen Mann, in den sie sich verliebt hatte und dann davon, welch schreckliches Schicksal ihm ihrer Meinung nach widerfahren war.
»Und jetzt ist er weg?«
»Ja, Grandma, ja…«
»Du weißt nicht wohin?«
Beth schüttelte den Kopf. »Er ist einfach verschwunden, Grandma. Einfach so.«
Sie nickte. »Kam er nicht aus London?«
»Das sagte er.«
»Er wird in diese Stadt zurückgekehrt sein, wenn überhaupt. Aber das halte ich für verantwortungslos, Kind. Wenn ihn die Seuche tatsächlich erwischt hat, ist es möglich, daß er andere Menschen damit ansteckt, und das sehe ich als furchtbar an. Um dies zu tun, muß ein Mensch schon sehr verantwortungslos sein.«
»Das ist er aber nicht!« rief Beth trotzig.
»Und trotzdem hat er das Dorf verlassen.«
»Ja«, flüsterte sie. »Ja, er hat Farthham leider verlassen. Ich weiß nicht, was ihn dazu getrieben hat. Er hätte hier bei den anderen Kranken bleiben können. Ich hätte versucht, ihm zu helfen, aber jetzt ist nichts mehr zu machen. Zudem befürchte ich etwas, das vielleicht noch schlimmer ist.«
»Darf ich fragen, was es ist?«
»Ja, Grandma, ja, das darfst du. Ich habe eine schreckliche Angst davor, daß er sich etwas antut. Daß er keinen Ausweg mehr weiß, sich in die Berge verkrochen hat und sich selbst umbringt. Das ist es, was mir furchtbare Sorgen bereitet. Ich habe schon darüber nachgedacht, ob ich ihm nachgehe, ihn suchen soll, ihn…«
»Nein, mein Kind, das bitte nicht. Du brauchst ihn nicht zu suchen. Es kann sein, daß du ihn wiedersiehst. Wenn nicht, dann hat er es nicht anders verdient.«
Beth gefielen die Worte ihrer Großmutter nicht, aber sie wagte keine Widerrede. Sie selbst sah Carter Eastland nicht so an, und sie hoffte- noch immer, daß er es schaffte und den Weg wieder nach Farthham fand. Auch wenn er gezeichnet war, sie würde sich um ihn kümmern, das stand fest.
Ihre Großmutter schaute sie an, als könne sie die Gedanken der Enkelin lesen. Vielleicht war dies auch irgendwo der Fall, denn Greta Morgan war eine sehr kluge Person.
»Kannst du mir denn einen Rat geben, Grandma?«
»Ja und nein. Ich bin heute zu dir gekommen, weil ich allein mit dir reden möchte.«
Beth beugte sich vor. Sie zerknüllte das Taschentuch zwischen ihren Händen. »Das hört sich schlimm an«, sagte sie. »Ich… ich kann direkt Angst bekommen.«
»Das brauchst du nicht, aber du mußt dir immer vor Augen halten, daß du jetzt erwachsen bist, mein Kind. Die Zeit, wo andere für dich entschieden haben, ist vorbei.«
»Leider.«
»Und deshalb solltest du auch über gewisse Dinge informiert werden. Näher und tiefer eingeweiht werden…«
»Geht es um die alte Sage?«
»Richtig, mein Kind.« Sie faßte nach Beths Händen. »Ich weiß ja, daß du dich immer für mystische Dinge interessiert hast. Vielleicht hilft dir dies nun, gewisse Tatsachen zu begreifen, denen wir uns alle leider stellen müssen.«
»Du machst es so geheimnisvoll.«
»Es ist auch nicht für jedermanns Ohren bestimmt. Daß einige Bewohner erkrankt sind, hat einen tieferen Grund, mein Kind. Ich will ihn dir genau sagen. Vor einigen hundert Jahren tobte in Europa der Dreißigjährige Krieg. Er hat viel Elend über die Menschheit gebracht, aber nicht alle sind an den Folgen der kriegerischen Handlungen gestorben. Die Pest hat mehr Opfer geholt.«
»Wie bei uns hier.«
»Ja und nein, Kind.«
Beth zwinkerte irritiert. »Wie soll ich das denn verstehen, Grandma? Ich weiß es…«
Die alte Frau hob kurz die Hand, und Beth schwieg. »Es war damals eine schreckliche Zeit, von der wir nur etwas wissen, weil es in Büchern und Überlieferungen gestanden hat. Aber auch Historiker haben den Schleier gelüftet. Darauf will ich gar nicht hinaus, meine Liebe. Es geht um gewisse Details. Zu den Zeiten der
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