0707 - Im Schatten des Vampirs
Brieftasche aus der Jacke und reichte dem Arbeiter eine Hundert-Dollar-Note, was vermutlich mehr war, als der Mann in einem Monat verdiente. Der Geldschein verschwand blitzschnell in einer Tasche seines schmutzigblauen Overalls, dann trat er näher an Zamorra heran.
»Seit einigen Tagen funktionieren die Telefone nicht mehr. Wir können mit niemandem auf dem Festland sprechen. Man hat uns die Benutzung der Funkgeräte untersagt und das, obwohl es Gerüchte gibt, dass Menschen aus unserem Dorf verschwunden sind.«
»Ihr kommt alle aus dem gleichen Dorf?«, unterbrach ihn Zamorra.
»Fast alle. Wir wurden wegen des Staudammbaus am Yangtse umgesiedelt, und die Arbeit hier auf der Bohrinsel war die einzige, die man für uns gefunden hat.« Er sah sich erneut um. »Heute Abend sollte für die meisten von uns die Schicht enden. Dann wären wir nach Hause zurückgekehrt, aber ohne den Hubschrauber sitzen wir fest. Jemand will nicht, dass wir erfahren, was dort passiert ist, deshalb genehmigt man uns keinen Kontakt mehr zu unseren Familien.«
Für Zamorra klang diese Geschichte sehr nach Verschwörungstheorie. Viele Vermutungen, aber kein einziger Beweis. Der Arbeiter schien zu merken, dass er ihm nicht glaubte, denn er wechselte abrupt das Thema. »Da ist noch etwas anderes. Seit ein paar Tagen schläft niemand von uns. Wir sind so müde, dass wir kaum noch wissen, was zu tun ist, aber wir können einfach nicht schlafen. Vielleicht schützt uns das aber vor dem weißen Nebel.«
Zamorra wurde hellhörig. »Was für ein weißer Nebel?«
»Ich weiß es nicht genau. Manche glauben, dass der Nebel Wu Bin und die anderen getötet hat, weil sie eingeschlafen sind. Andere sagen, der Nebel sei ein Fluch aus dem Meer, mit dem wir für die Bohrungen bestraft werden sollen. Es gibt viele Gerüchte. Ich…«
Der Arbeiter unterbrach sich. Seine Augen wurden groß.
Zamorra fuhr herum. Der Schlag explodierte in seinem Kopf. Er hörte noch, wie der Schutzhelm polternd zu Boden fiel, dann nichts mehr.
***
Li-Wen richtete die Pistole, mit der sie Zamorra niedergeschlagen hatte, auf den Arbeiter.
»Was hast du ihm erzählt?!«, schrie sie.
Der Mann hob abwehrend die Hände. »Nichts! Er wollte mich ausfragen, aber ich hab ihm gesagt, dass ich nichts weiß. Das ist die Wahrheit.«
Li-Wen wusste, dass er log. Sie hatte selbst den letzten Teil des Gesprächs belauscht, aber erst eingegriffen, als Zamorra nach dem Nebel gefragt hatte. Alles andere durfte er erfahren, das jedoch nicht.
»Wenn der Europäer zu sich kommt«, sagte sie, »werde ich ihm sagen, dass er einen Unfall hatte und von einem herabstürzenden Stück Stahl getroffen wurde. Was wirst du sagen, wenn du ihm begegnest?«
Der Mann schluckte. »Dass er von einem herabstürzenden Stück Stahl getroffen wurde.«
»Gut. Hau jetzt ab.« Sie hatte das letzte Wort noch nicht zu Ende gesprochen, als der Arbeiter bereits zwischen den Tanks verschwunden war.
Li-Wen lächelte und ging neben dem bewusstlosen Zamorra in die Hocke. Vorsichtig tastete sie nach der Stelle, wo sie ihn am Kopf getroffen hatte, spürte Blut unter ihren Fingerspitzen, aber keine größere Wunde.
Sie bedauerte ihre Tat, glaubte aber, richtig gehandelt zu haben. Ebenso wie Zamorra spielte sie nicht mit offenen Karten. Er hatte ihr verschwiegen, dass er chinesisch sprach, sie hielt ihr Wissen über den weißen Nebel von ihm fern. Trotzdem hoffte sie auf seine Hilfe, denn allein konnte sie ihre Aufgabe nicht bewältigen.
Sie wollte sich gerade von Zamorra abwenden, um einen Vorarbeiter von dem »Unfall« zu unterrichten, als ihr Blick sein Gesicht streifte.
Li-Wen stutzte.
Die Augen des Europäers bewegten sich unruhig hinter den geschlossenen Lidern. Er träumte.
Nein, dachte sie verstört, das kann nicht sein. Es gibt doch keine Verbindung zwischen ihm und den Träumern.
Sie griff nach seinen Schultern, schüttelte ihn und rief seinen Namen, aber er reagierte nicht. Nur seine Augen bewegten sich.
Schließlich ließ Li-Wen ihn los. Sie ahnte, dass sie einen furchtbaren Fehler begangen hatte und dass es nichts mehr gab, was sie daran ändern konnte.
Hinter ihr wurde es plötzlich kalt. Li-Wen drehte sich nicht um, sondern wartete, bis ein weißer Nebel an ihr vorbeiglitt. Er musste den Traum gespürt haben.
Und jetzt war er gekommen, um zu töten.
***
Jack O'Neill lag auf dem Rücken und spürte den warmen Asphalt unter sich. Er konnte nicht sagen, wie er in diese Lage geraten war, wusste nur,
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