0709 - Märchenfluch
Albert, aber so nannten ihn allenfalls seine Eltern, wenn sie sauer auf ihn waren - übernahm es, die Magazine in Henry Ippestons Laden zu besorgen, und im Haus der Snodgrass' lasen die beiden Freunde dann die neuesten Fantastereien.
Das Haus war so groß, dass es Dutzende von ungestörten Winkeln gab, die höchstens Berties jüngere Schwester Lucy hin und wieder aufspürte.
In einem dieser Verstecke hatte Amory seinem Freund auch seine eigenen Geschichten erzählt, dessen Begeisterung kaum Grenzen gekannt hatte. Er war es auch gewesen, der Amory dringend riet, seine Storys an Weird Tales zu schicken.
Ein paar Wochen später hatte Amory seine Geschichten dann niedergeschrieben. Das Kuvert brachten sie gemeinsam zum Posthalter und sahen zu, wie es im Sack mit den ausgehenden Sendungen verschwand.
Dann begann das Warten.
Insgeheim hatte Amory mit einer schnellen Antwort gerechnet. Immerhin, länger als ein paar Tage konnte es doch nicht dauern, die Geschichten zu lesen, das positive Urteil brieflich niederzulegen und den jungen Autor darüber zu informieren, oder?
Aber Tage reihten sich zu Wochen, und erst nach deren vier kam das ersehnte Schreiben From the Editor's Office of WEIRD TALES - THE UNIQUE MAGAZINE.
Bei der Einsendung hatten sie. Bertie Snodgrass' Adresse angegeben, damit Amorys Vater nicht Lunte roch, wenn sein Sohn Post von einem so sonderbaren Absender bekam.
Nachdem sie den Brief wieder und wieder gelesen hatten, ohne dass sich der Inhalt auf wundersame Weise änderte, schien Bertie fast noch niedergeschlagener als Amory selbst. Und da sie kein Rückporto beigelegt hatten - wozu auch? Warum in aller Welt Geld für Rückporto verschwenden, wo man die Geschichten doch abdrucken würde? -, hatte man die »unverlangt eingesandten Manuskripte« nicht einmal zurückgeschickt.
Bertie fluchte lästerlich. »Jetzt sind die Storys auch noch verloren! Ich glaub's einfach nicht. Der Blitz soll diesen dämlichen Redakteur beim Seh…-«
Amory schüttelte den Kopf. »Nein, sie sind nicht verloren. Ich schreib sie einfach noch mal.« Sein Gesicht hellte sich ein klein wenig auf, als ihm eine Idee kam. »Besser noch - ich mach mir mein eigenes Weird Tales!«
Und das tat er dann auch.
Mit ein paar Cents in der Tasche wurde er in der Papiermühle am Fly Creek vorstellig.
Charles Hamner, der Eigentümer, verkaufte Amory einen kleinen Packen billigen Papiers, für das dessen Geld eigentlich nicht gereicht hätte. Aber es sei Ausschussware, sagte Hamner, und ehe er es wegwerfen wolle, sollte doch lieber er seine Freude dran haben.
Und die hatte Amory. Das Papier war perfekt! Stark holzhaltig, rau, faserig, gelbstichig - auf genau solchem Papier wurde auch Weird Tales gedruckt. Es hatte sogar diesen charakteristischen, irgendwie verzaubernden Geruch, der einem entgegenstieg, wenn man das Magazin aufschlug! Pulp nannte man dieses billige Papier, und daher rührte auch die Bezeichnung dieser Publikationen, pulp magazines, und die darin veröffentlichten Geschichten hießen folgerichtig pulpfiction.
Amory heftete die Blätter zu einem provisorischem Buch. Nachts wartete er jeweils, bis es völlig still geworden war, dann setzte er sich im Schein einer Kerze hin und schrieb mit Tinte sein ganz eigenes Magazin.
Diese Tätigkeit erfüllte ihn mit einer Freude, wie sie ein Abdruck seiner Storys im Weird Tales kaum größer hätte auslösen können. Fast fiebrig fühlte er sich manchmal, wenn die Geschichten wie ohne sein Zutun überraschende Wendungen nahmen.
Bisweilen kam es ihm vor, als führte er den Federhalter nicht mehr selbst, als bewegte sich die Spitze mit leisem Kratzen von allein über das Papier.
Diese neuen Fassungen seiner Geschichten waren fraglos noch besser als die ursprünglichen. Und die waren ja schon besser gewesen als die eigentlichen Originale.
Amorys Erzählungen hatten alte Wurzeln. Er variierte hinlänglich bekannte Märchen, die zum Volksgut zählten und ihren Weg aus Europa herüber in die Neue Welt gefunden hatten.
Doch Amory beraubte diese Gutenachtgeschichten ihres stets glücklichen Endes, wo, »wenn sie nicht gestorben waren«, alle »noch heute leben«.
In Amorys Versionen lebte am Ende niemand mehr. Keiner von denen jedenfalls, mit denen die Leser oder Zuhörer bangten. Amory ließ am Schluss die Hexe triumphieren, die böse Königin und den Wolf natürlich!
Amory Stagg schrieb des Mitternachts bitterböse, blutige Schauermärchen.
***
»Ein Wunder, dass der Sheriff dich
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