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0709 - Märchenfluch

0709 - Märchenfluch

Titel: 0709 - Märchenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Stahl
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machte ja auch keinen Hehl daraus. Berties Schwester war nur ein bisschen zu jung, als dass Amory sich getraut hätte, ihr offen den Hof zu machen. Aber das hieß ja nicht, dass er nicht von ihr träumen oder sie nicht zeichnen durfte.
    »Hab ich mir doch gedacht! Du bist pervers, Mory.« Aber Bertie meinte es weder ernst noch böse. Er war ja selbst nicht besser, denn immerhin hatte er ein Guckloch in die Wand zum Badezimmer gebohrt, damit er seine Schwester, die für ihr Alter schon ganz ordentlich entwickelt war, beobachten konnte.
    »Zeig doch mal!« Jetzt bettelte Bertie schon fast. »Hast du sie wieder mit so großen Dingern gemalt?« Mit den Händen beschrieb er den Umfang zweier vollreif er Melonen.
    »Fragt sich, wer hier pervers ist«, gab Amory zurück. »Möchte gar nicht wissen, was du treibst, wenn du durch das Loch in der Wand zu Lucy reinglotzt.«
    Bertie grinste. »Dein alter Herr würde vermutlich behaupten, dass man davon blind wird.«
    Sie alberten noch eine Weile herum, und als der regentrübe Tag sich dem Ende zuneigte, verabschiedete sich Bertie.
    Amory wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, nur, dass er wieder von dem Wolf geträumt hatte, als er schweißnass und keuchend im Bett hochfuhr.
    Verdammt!, schalt er sich, kaum dass ihm das Herz nicht mehr zum Zerspringen klopfte. Es war ja auch kein Wunder, dass ihn Nacht für Nacht diese Albträume heimsuchten - immerhin schlief er auf diesem verfluchten Heft!
    Er wollte, nein, er musste es loswerden! Am besten jetzt gleich.
    Amory rollte herum und schob den Arm unter die Matratze. Seine Finger tasteten ins Leere. Er kniete sich neben das Bett, fuhrwerkte mit beiden Händen unter der Matratze herum - nichts! Er sah unter dem Bett nach und fand nichts außer Wollmäuse, die wie lebendige Wesen davonstoben. Schließlich zerrte er sogar die Matratze vom Bett…
    Aber das Magazin blieb verschwunden.
    Die Idee, Vater oder Mutter könnten es entdeckt haben, verwarf er so schnell, wie sie ihm gekommen war. Seine Eltern hätten mit diesem Fund nicht hinterm Berg gehalten.
    »O nein!«, entfuhr es Amory, so laut, dass er sich hastig die Hand vor den Mund schlug. Ein paar Sekunden lang lauschte er, ob sich nebenan im Schlafzimmer seiner Eltern etwas regte. Aber es blieb alles still.
    »Nein, nein, nein!«, zischelte er dann und tigerte vor Aufregung in seiner Kammer auf und ab. »Bertie, du verdammter Idiot!«
    Es gab keine andere Möglichkeit. Bertie Snodgrass musste die Geschichtensammlung mitgenommen haben! Die zusammengebundenen Blätter zu finden dürfte für ihn kaum ein Problem gewesen sein, und sie unter der Matratze zu verstecken war ja auch keine besonders originelle Idee gewesen.
    »Ich Blödmann! Ich hätte es wissen müssen!« Amory schlug sich mit der Hand gegen die Stirn.
    Er musste das Heft wiederhaben. Nicht erst morgen - nein, auf der Stelle! Nicht, weil er es brauchte, sondern weil Bertie in Gefahr war.
    Vielleicht…
    Mittlerweile war Amory nicht mehr so sicher, dass er sich das Ganze nicht nur eingebildet hatte. Nicht einmal die Kratzer in seinem Gesicht waren ihm noch Beweis genug.
    Trotzdem, dass mit dem verdammten Heft irgendetwas nicht stimmte, daran immerhin hegte er keinen Zweifel! Das Ding machte ihm Angst, und ob es dafür nun einen triftigen Grund gab oder nicht, war ihm völlig egal.
    Amory streifte seine Hose über, stopfte das Nachtgewand in den Bund, dann kletterte er lautlos aus dem Fenster, eilte über die Brücke und zum Haus der Familie Snodgrass.
    Hinter den Fenstern brannte kein Licht mehr. Es musste schon weit nach Mitternacht sein.
    Amory wusste, wie man zum Fenster von Berties Zimmer hinaufkletterte. Erst auf das Regenfass, dann an der Dachrinne hoch und über einen kaum fußbreiten Sims zum Fenster hinüber. Es war zu, aber nicht verriegelt. Amory schob es ein Stück weit hoch.
    Der Wind wehte ihm die Gardinen entgegen wie Gespenster, die ihm den Zutritt verweigern wollten, indem sie ihn umschlangen. Ums Haar wäre er vom Sims geglitten und abgestürzt.
    Er nahm sich eine Sekunde Zeit, um wieder festen Halt zu finden, dann schob er sich durch das Fenster.
    Berties Bett stand direkt darunter. Es war leer.
    »Bertie?«, zischte Amory.
    Keine Antwort.
    Es dauerte ein wenig, bis sich seine Augen auf das Dunkel eingestellt hatten und er zumindest Umrisse ausmachen konnte.
    Bertie saß an seinem Schreibpult, vornübergebeugt, den Kopf in die aufgestützten Arme vergraben. Er musste im Sitzen eingeschlafen

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