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0709 - Märchenfluch

0709 - Märchenfluch

Titel: 0709 - Märchenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Stahl
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habe dieser Fluch als uralt gegolten. Doch die Indianer hätten sich nicht gefürchtet, sondern sich mit den Geistern arrangiert. An einem Ort, den sie Three Trees nannten, hatten zauberkundige Abnaki angeblich Rituale und Beschwörungen abgehalten, mit denen sie den Fluch unter Kontrolle hielten. Doch der Stamm sei kleiner und kleiner geworden, und damit sei auch das alte Wissen allmählich verlorengegangen.
    Miss Lucindas zweiter Gatte, George Connors, hatte sich ihren Worten zufolge sehr dafür interessiert und Kontakte zu den letzten Abnaki unterhalten, um ihre Geheimnisse zu erlernen. Oft sei er tagelang im Wald umhergestreift, immer in der Hoffnung, dass er des Fluches Herr werden könne.
    »Manchmal hat er mich mitgenommen«, entsann sich Lucinda, und ihr Blick rückte dabei in weite Ferne, »und ich habe Dinge gesehen, die mir die Augen so weit geöffnet haben, dass ich seither nichts mehr für unmöglich halte.«
    »Um was für Dinge handelte es sich dabei?«, hakte Zamorra ein.
    »Gespenster«, antwortete Lucinda leichthin. »Die Geister von Menschen, die sich in diesem Wald das Leben genommen hatten, aber auch Wesen, die jeder Beschreibung spotten. Ich nehme an, dass es diese Kreaturen waren, die potentielle Selbstmörder anlockten. Sie riefen sie, verbargen sich hinter schönem Schein und irgendwann konnte ihnen auch mein George nicht mehr widerstehen.«
    Sie tupfte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
    »Aber wie ich schon sagte, er war ja nicht der Einzige und weder der Erste noch der Letzte. Wanderer und Jäger verirren sich da draußen und tauchen nie wieder auf. Es waren sogar schon Gäste meiner Pension darunter, im Laufe der Zeit sogar etliche.«
    Miss Lucinda sah zur Decke hinauf, über der die Gästezimmer lagen.
    »Manchmal«, sagte sie leise, »kommen sie wieder. Manchmal kann ich sie nachts da oben hören, ihre Schritte, ihre Stimmen.«
    Sie blinzelte, und ihr Blick klärte sich wieder.
    »Und die Selbstmörder?«, erinnerte Nicole.
    Miss Lucinda hob die schmalen Schultern. »Männer, Frauen jeden Alters, manchmal auch Kinder - sie gehen in den Wald und erhängen sich. Einfach so. Nicht nur Leute aus unserer Gegend. Manche kommen von weit her, aus anderen Bundesstaaten sogar. So weit trägt der Ruf dieses Waldes.«
    »Unheimlich«, gestand Nicole und schauderte, obgleich sie durchaus stärkeren Tobak gewohnt war. Aber Ungreifbares wie Spuk und Geisterwesen konnten einem mitunter schlimmer zusetzen als ein »richtiger« Dämon.
    Weder sie noch Zamorra zweifelten am Wahrheitsgehalt von Miss Lucindas Worten.
    Schon weil dieser verfluchte Wald, ganz gleich, wo dieser Fluch auch herrühren möchte, ins Bild der jüngsten Geschehnisse passte. Nur wirklich Sinn machte das alles noch immer nicht. Zusammenhänge waren offensichtlich vorhanden, aber nach wie vor fehlten Informationen, um die Lücken zu schließen.
    »Deshalb«, sagte Miss Lucinda, »wundert mich das Verschwinden des armen Lester Billings kaum.« Sie seufzte.
    »Ist denn je ein Mensch, der im Wald verschwunden war, später wieder aufgetaucht?«, fragte Zamorra.
    Miss Lucinda schüttelte den Kopf, so bedauernd, als täte es ihr um jeden einzelnen Vermissten Leid. Und vermutlich war dem auch so.
    »Nein. Nie. Nicht einer…«
    Und dann, als wollte eine zynische Schicksalsmacht ihre Worte Lügen strafen, geschah es doch!
    ***
    Vergangenheit
    Anfang Mai 1926
    »Bist du schon fertig mit deinen Geschichten?«, wollte Bertie Snodgrass wissen.
    Sie saßen in Amorys kleinem Zimmer, dessen Fenster im Schatten des kantigen Kirchturms lag. Wenn die Glocken sonntags zum Gottesdienst läuteten, erbebte der ganze Raum.
    »Nein. Hab auch keine Lust mehr dazu«, sagte Amory.
    »Keine Lust mehr? Wieso das denn?«
    Amory zuckte nur die Achseln.
    Tatsache war, dass er das selbstgebastelte Magazin seit jener Nacht nicht mehr aufgeschlagen hatte. Nach seinem unheimlichen Erlebnis, von dem niemand, nicht einmal Bertie wusste, hatte er es unter die Matratze gestopft und nicht mehr hervorgeholt. Und das würde er auch nicht mehr tun. Nie mehr!
    »Aber die Geschichten waren doch gut!«, ereiferte sich Bertie.
    »So gut auch wieder nicht.«
    »Komm, lass sie mich wenigstens noch mal lesen.«
    Amory schüttelte den Kopf.
    Bertie grinste wissend. »Ah, sag mal, schämst du dich etwa? Hast du schweinische Bilder von meiner Schwester reingemalt?«
    Amory grinste unlustig. Dass ihm die kleine Lucy gefiel, war seinem Freund natürlich nicht verborgen geblieben. Er

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