0711 - Die Nacht der Wölfe
zwei Wagen, die mit großem Abstand aus der Stadt kamen. Nur der erste hatte die Scheinwerfer eingeschaltet, der zweite Wagen war dunkel.
Ein Fluchtversuch, dachte er lächelnd. Wie nett.
Er sah zu dem Punkt der Straße, an dem die Posten die Flüchtenden erwarteten.
Das Lächeln verschwand aus seinem Wolfsgesicht.
»Wo sind die Wachen, die auf der Straße stehen sollten?«, fragte er lauernd.
Adams gelbe Augen wurden groß. Chang konnte seine Angst riechen.
»Wir schließen noch die Lücken, die der Angriff hinterlassen hat. Ich habe die Wachen von der Straße abgezogen, weil ich den Posten selbst übernehmen wollte.«
»Dann tu das auch!«, brüllte Chang unvermittelt. »Nimm dir genügend Krieger und halte diese Wagen auf!«
Adam nickte hastig und lief los. Seine Stimme überschlug sich, als er den Befehl zum Sammeln gab.
Chang strich sich über das weiche, warme Fell in seinem Gesicht. Er hatte keinen Zweifel, dass sein Untergebener nach diesem Zwischenfall sein bestes geben würde.
Neben ihm verwehten die letzten Reste der getöteten Tulis-Yon im Wind.
Er sah auf die Uhr.
20:30
Es war Zeit für den Angriff.
***
Nicole blieb vor dem »Kirchentempel« stehen. Es war ein schlichtes weißes Holzgebäude mit einem kleinen Turm, in dem eine Kirchenglocke hing. Ein Schild auf dem gepflegten Rasen kündigte eine Chorprobe für den morgigen Nachmittag an.
Nicole hoffte, dass sie stattfinden würde.
Vor ihr öffnete Yellowfeather die zweiflügelige Holztür und betrat den Raum.
»Verstehen Sie jetzt, weshalb wir dieses Haus Kirchentempel nennen?«, fragte er, als Nicole überrascht in der Tür stehen blieb.
»Irgendwie schon«, sagte sie.
Der Raum war mit Kirchenbänken ausgestattet und bot Platz für rund hundert Besucher. Die Fenster waren schmal und hoch. Am hinteren Ende stand ein Altar, über dem ein schlichtes Holzkreuz hing. In der rechten Ecke befand sich eine schmale Holztür. Es war ein Anblick, den Nicole schon oft gesehen hatte, wäre da nicht eine Buddhastatue unterhalb des Kreuzes gewesen.
Sie bestand aus altem, dunkel schimmernden Holz und stand auf einem eigenen Altar, vor dem Räucherstäbchen brannten. Die Blumen, die er als Kranz um seinen Hals trug, sahen frisch gepflückt aus. Zahlreiche Kerzen brannten und erhellten den Raum.
»Wenn das hier alles vorbei ist«, sagte Nicole leise, »müssen Sie mir die Geschichte erzählen.«
Yellowfeather nickte. »Die Kirche lässt sich gut verteidigen. Es gibt nur zwei Eingänge. Der, durch den wir gekommen sind, und ein zweiter in… hm, der Sakristei. So nennen wir den Raum zumindest, obwohl er eher so etwas wie das Büro des Priesters ist. Dort gibt es übrigens auch eine Waschgelegenheit mit fließend Wasser Verdursten werden wir also nicht.«
Nicole durchquerte den Raum und stoppte vor einer Nische, die sie vorher nicht bemerkt hatte. Darin stand eine Metallleiter, die aussah, als sei sie seit Jahrzehnten nicht bewegt worden. Hinter der Leiter stand ein kleiner Fünf-Liter-Benzinkanister aus Plastik an der Wand. Warum den jemand ausgerechnet hierher gestellt hatte, konnte Nicole sich nicht vorstellen. Aber sie verschwendete auch keinen weiteren Gedanken daran. Neugierig geworden, kletterte Nicole einige Leitersprossen nach oben und fand sich in einem kleinen Turm wieder, der nach allen vier Seiten offen war und in einem Holzdach endete. Er bot gerade genug Platz für die Glocke, die darin hing.
Perfekt, dachte Nicole.
Sie nahm das Seil, das am Klöppel hing, von seinem Haken und kletterte wieder nach unten.
»Gehen Sie raus auf die Straße«, bat sie Yellowfeather, »und achten Sie darauf, dass niemand zurückbleibt.«
»Okay.«
Er ging zur Tür, während Nicole kräftig an dem Seil zog.
Die Kirchenglocke begann zu läuten.
Es dauerte ein paar Züge, bis Nicole den richtigen Schwung raushatte, nachdem die ersten Glockenschläge eher unzusammenhängend dröhnten. Aber dann kam allmählich Rhythmus in die Schläge, und Nicole stellte fest, dass es mindestens ebenso anstrengend war, sich auf diesen Rhythmus zu konzentrieren und ihn einzuhalten, wie die Glocke überhaupt mit kräftigen Zügen in Schwung zu halten.
Elektrisch gesteuert, wie in mittlerweile fast allen europäischen Kirchen, wäre es natürlich viel einfacher gewesen. Aber die moderne Technik hatte in dieser »Tempelkirche« noch keinen Einzug gefunden.
Unmittelbar unter dem Turm war der Lärm ohrenbetäubend, aber Nicole war sicher, dass man die Glocke auch im Rest
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