0712 - Der Mumienfluch
Schulter. »Toll, John Sinclair, wirklich toll. Wann gehst du zur Uni?«
»Wieso?«
»Als Dozent. Du kannst wunderbar etwas rüberbringen.« Er lachte und ging vor zum Lift.
***
New York lag unter ihm!
Nicht unter einem Vogel, nicht unter einem Menschen, sondern unter einer fliegenden Mumie - wie auf dem Präsentierteller ausgebreitet. Zum ersten Mal hatte die Bestie einen Mißerfolg errungen. Es war ihr nicht gelungen, den Menschen zu töten, um dessen Seele, sein ka zu bekommen. Die Zeit hatte nicht gereicht, obwohl er ihn eigentlich hätte vernichten können oder sogar müssen, denn das Opfer hatte sich in derselben Wohnung befunden, nur wenige Schritte entfernt.
Aber es hatte etwas gehört, es war deshalb gewarnt worden und sehr schnell verschwunden.
Es bewegte sich in Richtung Süden.
Hoch über den berühmten Central Park hinweg, der als grünes Rechteck aus der dampfenden Hitze hervorstieg. Die Luft war nicht klar, die Sonne brannte, Dunstschwaden stiegen aus den Tiefen der Stadt in die Höhe, um sich zu verteilen.
Er sah die Straßen, die Spitzen der Wolkenkratzer, und er gab acht, daß er nicht gesehen wurde.
Zu viele Hubschrauber waren unterwegs. Da New York im Verkehr erstickte, war das Lufttaxi immer stärker in den Vordergrund getreten. Wer genug Geld und nur wenig Zeit hatte, ließ sich auf diese Art und Weise chauffieren.
Dann sah er das Wasser.
Jenseits der Südspitze der Halbinsel Manhattan. Es war die Upper Bay, in der auch das gewaltige Wahrzeichen stand, das einst die Franzosen den Amerikanern geschenkt hatten, die Freiheitsstatue.
Symbol und Hoffnungsträger für Auswanderer und Verfolgte. Wenn diese Dame in Sichtweite geriet und ihre Fackel hochgereckt hielt, war das das Tor zur Freiheit.
Wunderbar…
Nicht für die fliegende Mumie. Sie dachte daran, so schnell wie möglich das Ziel zu erreichen und sich dort zu verbergen.
Schon bald segelte die unheimliche Mörderin über die Upper Bay hinweg. Das Häusermeer der Halbinsel Manhattan lag hinter ihr. Sie sah den Teppich aus grauem Wasser durch die Schlitze in den Binden.
Sonnenstrahlen küßten ihn und schufen auf den gläsernen Kämmen der Wellen funkelnde Lichtexplosionen.
Die Mumie spürte, daß die Zeit gekommen war, so rasch wie möglich dem Ziel entgegenzueilen. Sie bewegte sich schneller, stemmte sich dabei gegen den Wind, der aus südwestlicher Richtung blies und die Schwüle mitgebracht hatte.
Bis zur Verrazano Bridge flog sie nicht. Diese Brücke verbindet die beiden Stadtteile Brooklyn und Staten Island. Jenseits davon fing die Lower Bay an und damit der Zugang zum Atlantik.
Die Mumie kippte nach Westen hin weg. Staten Island, dann Richmond.
Nur nicht in die Nähe des Staten Island Airports gelangen, so lauteten ihre Befehle.
Offiziell wurde sie nicht gesehen. Und wenn, hätte man sie nie für eine fliegende Mumie gehalten. Sie blieb dabei dicht an der Küstenlinie, die noch von einem innerländischen Grüngürtel gesäumt wurde, und ging dicht in der Nähe des Ziels tiefer, ungefähr dort, wo die prächtigen Villen auf den sündhaftteuren Grundstücken standen. Diese hier lebenden New Yorker gehörten zu den Leuten, die sich Hubschrauberflüge in die City leisten konnten.
Ihr Ziel war ebenfalls ein grüner Fleck, aber ein besonderer. Kein direkter Park, kein Golfplatz und auch kein großes Privatgrundstück, obwohl der Baumbestand einen dichten Wall bildete.
Es war ein alter Friedhof, mit ebenfalls alten Grabsteinen, Gräbern, Hecken und Büschen. Eine verschlungene Welt und ein Labyrinth für sich, das kaum noch besucht wurde, weil das alte Gelände ausrangiert worden war. Nur wenn jemand aus den alten Familien starb, wurde er auf diesem Gelände in den großen Grüften bestattet, wo bereits die Vorfahren und Ahnherren dieser Leute lagen.
Die fliegende Mumie sank nieder. Nicht wie ein Stein, sondern sehr elegant, als hätte sie in ihrem bisherigen Dasein nichts anderes getan, als zu fliegen.
Sie landete zwischen den Bäumen, fand dabei zielsicher eine Lücke und stand.
Der Wind spielte mit den Blättern. Sie raschelten gegeneinander, schützten alte Gräber vor den heißen Strahlen der Sonne oder bildeten ein Dach, das die alten Gitter und Hecken überspannte. Sie machte den Friedhof dunkel und düster.
Sie brauchte keine Furcht vor einer Entdeckung zu haben. Auf diesem Friedhof bewegten sich keine Spaziergänger, denn er war vielen zu unheimlich.
Die Mumie hatte ein Ziel.
Es war ein altes, graues Haus,
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