0712 - Der Mumienfluch
an den Außenwänden mit Moos und Pflanzen bewachsen. Sehr düster, auch bei hellem Sonnenlicht kalt, abweisend und unheimlich wirkend. Auf seinem Dach lagen die Ziegel wie schwarze Zungen nebeneinander.
Eine Leichenhalle war es nicht, eher ein Mausoleum, das sich ein privater Geldmagnat errichtet hatte.
Vor einem Tor blieb die Mumie stehen. Es bestand aus starken Gitterstangen, die an ihren oberen Enden wie Lanzenspitzen zuliefen.
Querstäbe sorgten dafür, daß sich auch keine schlanke Person durch die Lücken zwängen konnte.
Die Mumie blieb dicht vor dem Gitter stehen. Sie hob ihre mit Binden umwickelten Arme, an deren Händen sich die alten Bänder schon teilweise gelöst hatten.
Die Finger waren regelrecht durchgebrochen. Sie sahen aus wie grüngraue Stumpen, auf denen sich ein hellerer Schimmelpilz abgesetzt hatte.
Mit diesen Klauen griff die Mumie zu. Zweimal mußte sie an den Stäben rütteln, dann hatte sie es geschafft und konnte das Tor nach innen drücken. Daß es schabte und knirschte, machte ihr wenig aus. Niemand würde sie auf diesem Friedhof hören können.
Zudem wollte sie dieses Versteck nur bis zum Einbruch der Dunkelheit nutzen. Denn sobald die Sonne gesunken war, würde sie wieder auf Jagd gehen.
Sie zerrte das Tor hinter sich zu und trat schnell hinein in die schummrige Düsternis der alten Grabkammer…
***
»Hi, Sarah, alles wieder okay?« Larry Cohn grinste seine Nachbarin an.
Er schwankte leicht, stützte sich an der Tür ab, denn er hatte zuviel Weißwein getrunken.
»Ja, in etwa, aber nicht bei dir!«
»Wieso?« Er grinste etwas dümmlich und strich über seine Haare.
»Du hast zuviel getrunken.«
»Stimmt.« Er lachte wie ein Mädchen, hob das rechte Bein an und preßte dann seine Finger auf den Mund.
»Darf ich trotzdem zu dir kommen?«
Sein Gedächtnis hatte Larry noch nicht verloren, denn er fragte: »Erwartest du wieder eine Mumie?«
»Das wohl kaum.«
»Dann willst du einen Schluck mit mir nehmen?«
Sarah stieß ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust. »Genau das hatte ich vor.«
»Hach, das finde ich aber irre. Komm rein, wir machen es uns gemütlich. Ich kann heute sowieso nicht mehr arbeiten.«
Er schwankte vor, während Sarah die Tür abschloß. Sie war beruhigt, in der Wohnung zu sein. In ihrer hatte sie nicht bleiben können, aus Angst davor, daß die Polizei möglicherweise ihr Telefon abhörte, und niemand sollte wissen, was sie James Corall sagen würde, denn Bescheid geben wollte sie ihm.
Sarah Wingate konnte sich einfach nicht vorstellen, daß ihr Lehrer und Meister schlecht war. Bisher hatte er ihr die Kraft mit auf den Weg gegeben, die ihr zuvor in ihrem Leben gefehlt hatte. Er hatte sie von ihren Depressionen erlöst, er hatte dafür gesorgt, daß sie wieder anderen Menschen selbstbewußt gegenüberstand, er war zu ihr gewesen wie ein Vater, und so hatte er auch die anderen Menschen behandelt.
Ein Übermensch…
Larry Cohn summte ein Lied vor sich hin. Er hielt sich im Wohnbereich des Zimmers auf, hatte ein zweites Weinglas geholt und es bis zur Hälfte gefüllt.
»So, meine liebe Nachbarin, dann trinken wir erst einmal auf unseren Erfolg.«
»Wie meinst du das?«
Er lachte. Dabei bewegte er sich so hektisch, daß er Wein verschüttete.
»Ich bin froh, daß mir die Mumie nichts getan hat. Es macht wieder Spaß, sich den Freuden des Daseins hinzugeben, Cheerio.«
Sie hielt das Glas mittlerweile fest, wollte kein Spielverderber sein und trank einen Schluck des süffigen und trockenen Soave. Larry Cohn atmete tief und sehr laut durch, bevor er sich in einen Sessel fallen ließ.
»Du siehst super aus.«
»Das hast du mir noch nie gesagt. Ich dachte, du stehst nur auf Männer, Larry.«
»Stehe ich ja auch. Aber ich habe viel mit Frauen zu tun und dich beobachtet. Du bist eben anders als die anderen Frauen, denn du hast eine Entwicklung durchgemacht, und das finde ich echt stark. Du… du bist wie ein Vorbild.«
»Bitte, hör auf.«
»Doch, das stimmt, ehrlich. Wie kommt das nur? Vor Wochen noch warst du verschüchtert, hast dich zurückgezogen, wolltest mit niemandem sprechen, aber jetzt ist alles anders.«
»Ganz einfach.«
»Wie einfach?«
»Ich kehre mein Bewußtsein um!«
Da konnte Larry nur staunen. Er nahm zunächst einen Schluck, um die Verlegenheit zu überbrücken. »Das - das mußt du mir genauer erklären, Sarah.«
»Gern, aber später.«
»Ach bitte, nein.« Er streckte ihr seine Arme aus dem bunten Blümchensessel
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