0712 - Der Mumienfluch
die Natur auch von einer gewissen Abendstimmung überfallen worden war.
Ja, es war eigentlich eine wunderbare Stimmung, und, ich bat meinen Freund, die Klimaanlage abzuschalten. »Warum?«
»Ich möchte die Luft genießen.«
Abe Douglas schüttelte den Kopf und wunderte sich. »Ihr Engländer seid komisch. Sag bloß, daß du bei deinem Wagen auf eine Klimaanlage verzichtet hast.«
»Habe ich tatsächlich.«
»Und damit kannst du leben?«
»Ich öffne eben das Fenster.«
Er lachte. »So machst du das. Wie schön für dich.« Dann räusperte er sich. »Und wie geht das weiter, wenn ich den großen Meister mal fragen darf.« Er hatte die Anlage tatsächlich abgestellt und die Scheiben nach unten sirren lassen.
Eine frische, leicht würzige, sommerliche Abendluft umwehte meine Nase. Ich fand, daß es mir guttat. Auch Abe Douglas schien es zu gefallen, denn der lächelte.
Der Atlantik lag nicht weit entfernt, und der Wind brachte von dort ebenfalls diesen wunderbaren, frischen Duft von Salz und Wasser mit an unsere Nasen.
Abe hatte vor der Abfahrt den Weg genau festgelegt. Er wußte, wie wir zu fahren hatten und hatte mit mir kurz über die Gegend gesprochen, die zu den besten von Groß New York zählte.
Wer hier lebte, ließ sich gelegentlich mit dem Helikopter auf die Business-Halbinsel Manhattan fliegen und regenerierte an den Privatstränden oder auf den in der Nähe liegenden Golfplätzen.
Die Häuser waren oft nicht zu sehen, da sie in den parkähnlichen Grundstücken verschwanden und dort trotz ihrer Größe doch ziemlich klein wirkten.
Alter Baumbestand wurde hier garantiert. Es gab keine Betonwüsten, keine Wolkenkratzer. Dieser James Corall zeigte Geschmack, was seinen Sitz anging.
Doch auch eine Idylle kann tödlich sein. Diese Erfahrung hatte ich schon mehr als einmal machen müssen und mir deshalb vorgenommen, mich nicht von Äußerlichkeiten ablenken und beeinflussen zu lassen.
Wir bewegten uns auf schmaleren Nebenstraßen, um das Ziel direkter erreichen zu können. Ich verließ mich voll und ganz auf meinen blonden Begleiter, dessen Mund verkniffen wirkte. Ich konnte mir vorstellen, um welches Thema sich seine Gedanken drehten.
Es ging einzig und allein um die killende Mumie, deren Taten schon zu große Aufmerksamkeit erregt hatten. Dieses verdammte Wesen war einfach nicht zu stoppen gewesen, die Presse, immer gierig auf Sensationen, hatte sich wie eine Horde Geier auf die ermittelnden Beamten gestürzt und Schlagzeilen geschaffen wie ›Wann wird endlich der Killer gestellt?‹ oder ›Wer muß noch um sein Leben fürchten?‹ Deshalb war der Druck auf den G-man und auf seine Institution immer stärker geworden, und deshalb hatte Abe Douglas mich auch geholt. Über Sukos Zustand wußte er mittlerweile Bescheid, stellte aber keine weiteren Fragen, weil er wußte, wie sehr mich diese schreckliche Tatsache innerlich mitnahm und mich von dem aktuellen Fall zudem nicht ablenken lassen wollte.
So außergewöhnlich diese Gegend auch war, so wenig paßte der Friedhof hier hinein, dessen Existenz durch ein Schild am Straßenrand angekündigt wurde.
»Hast du es gelesen?« fragte Abe.
»Sicher.« Ich wußte sofort, auf was er angesprochen hatte. »Ein Friedhof in dieser Gegend? Wie paßt das zusammen?«
»Kann ich dir sagen. Erstens war er schon vor den Häusern hier, und zweitens ist das ein Traditionsacker, wenn ich das mal so nennen darf. Hier liegen die Toten der Familien, die sich in der Nähe ihre Häuser und Villen gebaut haben. Man hätte das Grundstück längst parzellieren können, aber damit waren die Bewohner nicht einverstanden.«
»Woher weißt du das?«
»Mich hat vor einigen Monaten mal ein Fall in diese Gegend geführt. Es ging um Crack. Einige reiche Kinder hatten sich einen Spaß daraus gemacht, dieses Teufelszeug zu verkaufen. Du kannst dir nicht vorstellen, was hier los war. Das zog Kreise bis zum Bürgermeister. Da wurden Staatsanwälte und Verteidiger zu Todfeinden.«
»Hat es denn was gebracht?«
Abe hob die Schultern. »Die Verfahren laufen noch. Du glaubst gar nicht, welche Gesetzeslücken die Reichen kennen, um hindurchzuschlüpfen. Es war jedenfalls kein Feiertag für die Justiz.«
»Kann ich mir denken.«
Ich schaute nach rechts, wo kein Haus mehr stand, sich auch kein Park ausbreitete, sondern das Bild von einer grauen Steinmauer geprägt wurde, der Grenze des Friedhofs.
Über die Mauerkante hinweg wuchsen die Zweige der Büsche wie krumme Arme ohne Hände.
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