0712 - Der Mumienfluch
scheinheiliges Lächeln.
Diesmal waren die Schritte von einem anderen Geräusch begleitet. Unterholz brach unter knackenden Geräuschen zusammen, ich hörte sogar das Keuchen der ankommenden Person und erkannte dann schräg vor mir die Bewegung im Gebüsch.
Einen Moment später sah ich die Gestalt.
Es war eine Frau, aber nicht nur das. Ich kannte sie, ich hatte mit ihr gesprachen, und sie hatte mich von ihrem Herrn und Meister überzeugen wollen, weil sie an dessen Thesen und Theorien glaubte.
Es war Sarah Wingate!
Wie hatte sie sich verändert. Ich nahm mir die Zeit, sie näher anzuschauen. Sie war ein Mensch, der von der reinen Panik vorangetrieben wurde. In ihrem Gesicht stand die kalte Furcht geschrieben. Der Mund war wie zum Schrei geöffnet, wahrscheinlich hatte sie nicht mehr die Kraft dazu. So konnte sie nur keuchen.
Bevor sie an mir vorbeilaufen konnte, verließ ich die Deckung und trat ihr in den Weg.
Sie sah mich - oder sie sah mich nicht?
Jedenfalls lief sie einfach weiter. Mir blieb nichts anderes übrig, als meine Arme auszubreiten und sie einzufangen.
Sie federte hinein, und jetzt hätte ich mit einem weiteren Schrei gerechnet, selbst dazu war sie zu schwach. Ihre Beine gaben nach, sie brach stöhnend zusammen und mußte von mir gehalten werden.
Wahrscheinlich hatte sie mich nicht einmal erkannt.
Ich schleifte sie in die Nähe eines großen Grabsteins und legte sie dort nieder. Das heißt, sie saß mehr, denn mit dem Rücken lehnte sie am Stein und blieb auch so, denn sie sank nicht zusammen.
Sarah Wingate atmete heftig. Es sah so aus, als würde sie von Krämpfen geschüttelt. Dabei waren ihre Augen weit aufgerissen, ohne mich jedoch zur Kenntnis zu nehmen. Sie starrte ins Leere, und auf ihren Lippen hatte der Speichel eine feuchte, aber leicht feste Schicht gebildet.
Ich ließ Sarah Wingate in ihrer relativen Sicherheit und stellte mich hin.
Wer immer ihr auch auf den Fersen gewesen war, er hätte sich eigentlich zeigen müssen.
Er war nicht da. Zumindest nicht sichtbar. In den Lücken zwischen den Gewächsen breitete sich ausschließlich ein fleckiges Halbdunkel aus.
Sarah flüsterte etwas, das ich nicht verstand, mich aber zum Umdrehen zwang.
Sie hatte ihre Haltung nicht verändert und schaute mich aus großen Augen an.
»Sind Sie okay, Sarah?«
Ich bekam zunächst keine Antwort. Sie hatte wohl nicht damit gerechnet, mich auf dem alten Friedhof zu sehen.
Ich ging auf sie zu und kniete mich dicht vor sie hin. Ich wollte nicht wie ein Riese auf sie herabstarren und ihr möglicherweise dabei Furcht einjagen. Sie hatte sicherlich Schreckliches hinter sich und mußte behutsam angefaßt werden.
Ich berührte ihre Wange, lächelte und nickte ihr zu. »John Sinclair?«
»Ja.«
»Aber wieso…?«
Sie faßte nach meiner Hand, ich ließ es geschehen, weil es ihr Sicherheit gab, und sagte mit leiser Stimme: »Das spielt jetzt keine Rolle, Sarah. Wichtig ist doch, daß Sie bei mir sind. Alles andere wollen wir nicht zählen.«
»Ja, ja… das stimmt.«
»Ich glaube, daß Sie mir einiges zu berichten haben. Ich hörte ihre Schreie. Es war wirklich Zufall, daß wir an der Friedhofsmauer vorbeirollten.«
Sie schluckte, drehte den Kopf, schaute ins Leere, räusperte sich, bevor sie mit leiser Stimme eingestand, einen Fehler begangen zu haben.
Ich wußte Bescheid. »Haben Sie mit Corall gesprochen?«
»Ja, am Telefon.«
Ich nickte. »Und was haben Sie ihm alles gesagt?«
»Zuviel, glaube ich. Ich… ich konnte nicht anders. Ich habe einfach geredet.«
»Und er?«
»Hatte Verständnis für mich.«
»Glauben Sie das wirklich?«
»Nein, nicht mehr.«
»Wie kamen Sie auf diesen Friedhof? Das ist wahrhaftig kein gastlicher Ort für eine junge Frau. Eigentlich für keinen Menschen, der sich noch auf eigenen Beinen bewegen kann.«
Sie dachte über ihre nächsten Worte nach. »Da haben Sie recht, aber ich konnte nicht anders.«
»Lag es an ihm?«
Sie deutete ein Nicken an. In ihren Augen glänzten Tränen. Möglicherweise aus Enttäuschung über das Verhalten ihres Lehrers. Sie hatte ihm vertraut, das Gefühl aber war gebrochen worden. »Er hat mich herbestellt, Mr. Sinclair, nur er.«
»Und warum?«
»Weil ich ihn hier treffen sollte.«
Ich schüttelte den Kopf. »Auf einem Friedhof? Kam Ihnen das nicht merkwürdig vor?«
»Schon, aber es war nicht allein der Friedhof. Er wollte mich an einem bestimmten Ort erwarten. Es gibt hier ein sehr großes Grab, beinahe schon ein Mausoleum.
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