0712 - Der Mumienfluch
schloß für einen Moment die Augen, so erleichtert war sie.
Jetzt war ihr klar, daß der Meister ihr keinen Schrecken einjagen wollte.
Er hatte diesen Treffpunkt nur gewählt, um in einer Ruhe mit ihr sprechen zu können.
So schlimm war dieser Friedhof gar nicht. Auch die Gruft kam ihr plötzlich relativ harmlos vor.
Bis sie das Geräusch hörte!
Es war ein typischer Laut, der entsteht, wenn unter einem bestimmten Druck etwas zerknirscht.
Scharf drehte sie sich um.
Und da stand die Mumie!
Sie schaute direkt ins Helle, deshalb war dieses Monster hinter der Gittertür so gut zu erkennen.
Es hatte beide Klauen um die Stäbe geklammert. Flügel oder Schwingen sah sie nicht. Das war auch nicht nötig. Allein die Tatsache des Daseins reichte aus, um ihr die Furcht wie kaltes Gletscherwasser durch die Adern fließen zu lassen.
Der Körper der Mumie, den sie aus der Nähe sah, war mir dicken Binden umwickelt. Die Hände lagen frei. Da wirkten die Finger wie gekürzt, als wären sie abgehackt worden. Auch in Höhe der Augen hatte sich eine Binde verschoben, so daß die Mumie sie anstarren konnte.
Es waren tote, aber dennoch kalte, grausame Augen, die kein Erbarmen kannten.
In den folgenden Sekunden wurde Sarah bewußt, daß doch nicht alles so laufen würde, wie sie es sich vorgestellt hatte. Irgendetwas war schief gegangen, aber sie dachte nicht daran, James Corall einen Vorwurf zu machen, er stand bei ihr noch immer, außen vor. Wahrscheinlich fürchtete er sich ebenfalls vor dieser Gestalt, die ihre stumpigen Klauen um die Gitterstäbe gepreßt hielt und durch eine Lücke direkt gegen sie starrte, ohne sich zu regen.
Was sollte sie tun?
Der Weg in den rückwärtigen Teil der Gruft war ihr versperrt. Sehr bald schon würde sie gegen die Wand laufen.
Es blieb nur der nach vorn.
Aber da stand das Monster mit den eingetrockneten Blutflecken auf den Binden.
Sarah Wingate spürte plötzlich, daß nicht mehr alles so werden würde, wie sie es angenommen und gehofft hatte. Diesmal waren die Gewichte zu ihren Ungunsten verschoben und zu einer lebensgefährlichen Bedrohung geworden.
Die Räume zwischen den Gittern waren einfach zu schmal. Da kam sie nicht durch. Die Mumie kraftvoll aus dem Weg zu stoßen, würde sie auch nicht schaffen.
Wie dann?
Überhaupt nicht!
Dieser eine Gedanke, als Antwort auf ihre Frage, durchschoß sie wie ein elektrischer Stromstoß. Sie kam hier nicht mehr raus, sie würde ihr Leben verlieren, wie auch die anderen Menschen von der Mumie gekillt worden waren. Sie würde…
Denn die Mumie packte zu.
Mit einem Ruck zerrte sie die Gittertür aus der seitlichen Verankerung und demonstrierte damit, welch eine Kraft sie besaß. Mit beiden Pranken hielt sie das Gitter fest, drehte sich und schleuderte es auf Sarah Wingate zu…
***
Das Gitter hätte sie zu Boden gerissen und sicherlich zerschmettert, wenn es anders geworfen worden wäre.
Das aber war es nicht.
Die Mumie hatte es kanten müssen und mit der Schmalseite geschleudert, so daß Sarah etwas Platz zum Ausweichen blieb. Sie wußte selbst nicht, wie sie es schaffte, dem Gegenstand zu entwischen.
Es mußte ein Reflex gewesen sein, den allein ihr Lebenswille diktierte, und sie spürte plötzlich den überaus harten Schlag am Rücken, als sie gegen die Wand prallte und mit ansehen konnte, wie sie das schwere Eisengitter passierte. Es hämmerte mit seiner Schmalseite gegen die hintere Wand der Gruft. Ein dumpfes und ein klirrendes Geräusch mischten sich miteinander, dann kippte das Gitter zur Seite, und Sarah hatte wieder Glück, weil es nicht in ihre Richtung fiel.
Viel hatte sich nicht verändert. Noch immer stand sie in der Gruft und die Mumie davor, wo sie den Weg versperrte. Allerdings nicht in ihrer gesamten Breite, denn es existierte noch eine schmale Lücke zwischen dem Gitter und der Wand.
Sie hatte auch Sarah Wingate ausfindig gemacht und zögerte nicht eine Sekunde mehr.
Sie stürzte vor. Nicht ein Schrei drang dabei über ihre Lippen. Sie wollte die Mumie auf keinen Fall aufmerksam machen und die Gunst der Sekunde nutzen.
Das Gesicht der Bestie ließ sie nicht aus den Augen. Durch die verdeckten Binden konnte sie leider nicht erkennen, was sich auf den Zügen abspielte, aber in den Augen flammte ein kaltes Licht auf, da aber war sie schon auf gleicher Höhe mit ihr.
Die Mumie griff zu.
Es sah so langsam aus, wie sie sich zuerst drehte und dann den Arm vorstreckte. Dabei wollte sie ihre Klaue auf die Schulter der
Weitere Kostenlose Bücher