0712 - Der Mumienfluch
Bäume breiteten ihre Kronen aus und garantierten für Schatten.
»Das ist er«, sagte Abe.
Ich nickte, wollte etwas erwidern, als wir beide zusammenschraken.
Wir hatten einen Schrei gehört.
Den Schrei einer Frau!
***
Ich brauchte Abe Douglas nicht zu sagen, was er tun sollte. Er bremste auch so, stellte den Motor ab.
Eine unnatürliche Stille hielt uns umfangen. Wir schauten uns nur an, sprachen auch nicht miteinander, und deshalb hörten wir auch das Summen der Insekten.
Schließlich bewegte Abe Douglas seine Lippen. Er flüsterte, als er fragte:
»War das ein Schrei?«
»Ich glaube schon.«
Abe bewegte seine Stirn. »Dann habe ich mich nicht getäuscht. Könnte es der Schrei einer Frau gewesen sein?«
»Sicher.« Ich deutete mit dem abgespreizten Daumen aus dem Fenster.
»Und er kam von dort, wo der Friedhof liegt.«
»Was machen wir?«
Darüber hatte ich ebenfalls nachgedacht. Wer schrie, tat dies nicht ohne Grund, er mußte sich in Gefahr befinden. Andererseits war es wichtig für uns, diesen James Corall richtig kennenzulernen, und es gab nur eine Möglichkeit.
Wir mußten uns trennen.
»Fahr du zu Corall«, flüsterte ich.
»Willst du auf den Friedhof?«
»Ja.«
»Du weißt, wie du hinkommst?«
»Nein, aber sag mir, wie weit es noch ungefähr ist?«
»Zwei Meilen vielleicht.«
»Die schaffe ich auch zu Fuß.«
»Okay, John, wie du willst.«
Ich öffnete bereits die Tür und hatte meine Beine kaum aus dem Wagen geschwungen, als wir beide den Schrei abermals hörten und auch zusammenschraken.
Es war ein schriller, hoher Laut gewesen, dem möglicherweise ein Fluch folgte, da allerdings war ich mir nicht so sicher.
Ich hämmerte die Wagentür zu und lief der Mauer entgegen. Eigentlich hatte ich schon zu viel Zeit verloren. Ein Sprung brachte mich bis an das Hindernis heran, auf dessen Krone ich meine Handflächen legte und mich dann in die Höhe stemmte. Es klappte gut.
Abe Douglas rollte an, als er feststellte, daß ich keine Schwierigkeiten bekommen würde.
Auf der anderen Seite der Mauer ließ ich mich fallen und landete auf weichem Grasboden. Für einen Moment blieb ich in der Hocke, um ein möglichst kleines Ziel zu bieten. Ich wartete auch darauf, angegriffen zu werden, der Überfall fand nicht statt. Nur die Grabsteine glotzten mich als stumme Zeugen an.
Es waren alte Steine, unterschiedlich geformt. Mal kantig, mal rund geschliffen, und sie standen in einer düsteren, leicht grünlichen Umgebung, die trotzdem kalt war und mir irgendwie rein erschien.
Ich wußte nur, daß ich diesen Frauenschrei auf dem Friedhof gehört hatte. Die Richtung allerdings war mir unbekannt, deshalb war es am besten, wenn ich tiefer in das Gelände hineinschritt, das mich an manchen Stellen an einen Urwald erinnerte, denn hier war keine pflegende Hand des Gärtners zu bemerken.
Um mich auf die Umgebung und deren Geräusche zu konzentrieren, bewegte ich mich so lautlos wie möglich. Zusätzlich hatte ich mich geduckt, um jede Deckung ausnutzen zu können.
Keine Vogelstimmen begleiteten mich auf meinem Weg, dafür ein geheimnisvolles Rascheln und Huschen, abgegeben von Tieren, die ich zu Gesicht bekam.
Was mich umtanzte, waren Schwärme von Mücken, und ich wünschte mir einen erneuten Schrei herbei.
Der aber blieb aus.
Was mir auch nicht gefiel, denn eskonnte bedeuten, daß die Person nicht mehr dazu kam, um Hilfe zu rufen.
Meine Kehle trocknete allmählich aus. Der Schweiß lag kalt in meinem Nacken.
Ich entdeckte größere Gräber und Grüften. Alle sehr alt und unterschiedlich gepflegt. Es war auch viel Kitsch vorhanden. Ich persönlich mochte keine Engel- oder Heiligenfiguren auf den Grabsteinen.
Hohe Bäume schützten mich. Grünes Blattwerk filterte den größten Teil der Sonnenstrahlen und machte die Gegend unter den Zweigen zu einem dämmrigen Labyrinth.
Dann hörte ich etwas.
Kein Schrei, aber ein dumpfes Geräusch, das sich in einem gewissen Rhythmus wiederholte.
Schritte!
Sie drangen von vorn an meine Ohren, und ihre Echos verloren sich auf dem Friedhof.
Ich blieb stehen.
Nicht weit entfernt wuchs eine Erle gegen den Himmel. Hinter der Rinde ihres Baumstamms fand ich mein Versteck und wartete ab. Hoffentlich hatte ich mich nicht geirrt, was die Richtung anging.
Grabsteine umstanden mich wie starre Leibwächter. Neben mir schaute ein steinernder Engel auf mich nieder. Er hielt den Kopf gesenkt und in der rechten Hand eine Friedenspalme. Auf seinen Steinlippen lag ein
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