0718 - Tango Fatal
legen. Dieses Haus gehört mir. Ich habe es praktisch geerbt und trotzdem noch für einen symbolischen Preis gekauft.«
»Wollten Ihre Eltern nicht mehr hierher zurück?«
»Sie konnten nicht. Sie sind tot. Ja, sie leben nicht mehr, aber…«, sie ließ den Satz in einem Lächeln ausklingen. »Lassen wir das zunächst noch.«
»Und was haben Sie mit dem Haus vor?«
Ramona Sanchez hob die Schultern und schaute gegen die Decke, dann an die Wände. So als wäre sie ein Handwerker, der nachschaute, um herauszufinden, wie teuer wohl eine Renovierung werden würde. »Ich könnte es umbauen, moderner gestalten und wieder eine Tangoschule eröffnen.«
»Und Sie glauben, daß sich dies in dieser Gegend auch lohnen würde?«
»Ja, wenn etwas gut ist, spricht es sich herum. Da nehmen die Leute auch weite Anfahrtswege in Kauf.«
»Damit es ihnen so ergeht wie Monsieur Lacre?«
»Reden Sie doch keinen Unsinn!«
»Es ist kein Unsinn. In diesem Haus lauert das Grauen, es birgt ein furchtbares Geheimnis. In seinen Mauern hausen schreckliche Kräfte, das weiß ich. Man will töten, es will töten, es will die Menschen fressen und verschlingen. So und nicht anders sehe ich dieses verdammte Haus, das nun Ihnen gehört.«
»Da wissen Sie mehr als ich.«
»Sie lügen.«
»Beweisen Sie mir das Gegenteil. Ich habe eine Verpflichtung übernommen, verstehen Sie?«
»Ja, das habe ich schon verstanden. Ich möchte noch einmal auf Ihre Eltern zurückkommen. Wie sind sie ums Leben gekommen. Einfach so gestorben, ruhig eingeschlafen oder nach einer langen Krankheit…«
»Nein!« Ihre Stimme klirrte plötzlich.
»Durch Gewalt?«
»Richtig, Sinclair!«
»Also das Haus. Wie bei Gaston Lacre.«
»Wieder ein Irrtum, Mann. Nichts war so wie bei ihm. Man hat meine Eltern umgebracht.«
Diesmal nahm ich ihr den Satz ab. Sie hatte nicht gelogen. Oder sie hätte sich schon wahnsinnig gut verstellen müssen. Ich sah auch, daß sich ihr Körper versteift hatte. Die Erinnerung an den Tod ihrer Eltern wühlte sie auf.
»Wer war es?«
Hart trat Ramona Sanchez mit dem rechten Fuß auf. Diese Bewegung war wie ein Startsignal. »Es waren völlig harmlose, nette Menschen von nebenan. Welche aus der Gegend, denen meine Eltern ein Dorn im Auge war. Sie waren einfach zu fremd, verstehen Sie? Das aufgeklärte Europa erstickt in seinem Fremdenhaß. Und das haben meine Eltern zu spüren bekommen. Eines Nachts wurde das Haus gestürmt. Da brachte man sie dann um. Eiskalt und ohne Erbarmen.«
Ich schwieg, denn mit einem derartigen Geständnis hatte ich nicht gerechnet. Davon hatten mir auch die Wirtsleute nichts gesagt und ebenfalls Lacre nicht. Wahrscheinlich fühlten sich alle schuldig und wollten dies so schnell wie möglich vergessen.
Auch wenn dies geschehen war, dann war es nicht der Grund für eine Rachetour, und ich wußte nicht, ob nicht noch etwas anderes dahintersteckte als eben nur Fremdenhaß.
»Sie glauben mir nicht?«
»Ja, ich glaube Ihnen, aber war das Motiv für diese Tat tatsächlich nur der Fremdenhaß?«
»Wieso?« Diesmal konnte sie das Lauern in der Stimme nicht unterdrücken. Ich schien einen wunden Punkt getroffen zu haben.
»Hören Sie, Ramona, es gibt zwar keinen Grund für einen Mord, ebensowenig wie es Gründe für Kriege meiner Ansicht nach gibt, aber ich könnte mir vorstellen, daß hinter der Tat noch etwas mehr steckte als nur blinder Fremdenhaß. Ich kenne einige Bewohner des Dorfes. Ich kann mir schlecht vorstellen, daß sie alle plötzlich losgezogen sind, um Ihre Eltern zu töten.«
»Was wissen Sie schon?«
»Leider nicht die Wahrheit. Ich erzählte Ihnen eben meine Vorstellungen, Ramona.«
»Sie sind falsch.«
»Das glaube ich nicht. Kann es nicht sein, daß die Menschen ein Motiv hatten, als sie zu dieser schrecklichen Tat schritten? Daß Ihre Eltern - sagen wir mal so - nicht ganz unschuldig an dem Dilemma waren?«
»Nur weil sie aus Argentinien stammten?« keuchte die Frau mir entgegen. »Was erlauben Sie sich eigentlich, Sinclair? Das ist eine Unverschämtheit, das ist eine…«, sie fluchte. »Ich finde da keinen Ausdruck dafür. So etwas habe ich noch nie gehört.«
»Und ich irre mich da?«
»Sicher.«
»Nein, Madame Sanchez. Ich glaube nicht an einen Irrtum. War dieses Haus schon immer so schlimm? Oder ist es erst nach dem Tod Ihrer Eltern so schlimm geworden?«
»Es ist normal.«
Ich deutete auf den Toten. »Wenn Sie das als normal ansehen, kann ich nicht einmal lachen.«
»Denken Sie,
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