072 - Der unheimliche Mönch
stellen. Ach, ich wünschte nur, daß man sich auf Sie verlassen und vernünftig mit Ihnen reden könnte. Es ist schrecklich, wenn man einen Mann wie Sie so verkommen sieht."
„Schimpfen Sie nur nicht", entgegnete er ernst. „Sie sollten sich ein wenig schämen. Sagen Sie mir lieber etwas anderes."
„Ja, wenn ich nur vernünftig mit Ihnen sprechen könnte!"
Cotton trat zu ihnen. Es war eine gewisse Verschlagenheit in seinem Benehmen; beiden fiel es auf.
„Der neue Gast ist angekommen, Miss Mary. Ich meine den Pfarrer", sagte er und ging zur Seite.
Ein hagerer älterer Herr mit weißen Haaren und einer großen Hornbrille trat in die Halle. Seine Stimme klang sanft und manchmal ein wenig herablassend. Er blickte freundlich um sich und schien mit der ganzen Welt in Frieden zu leben.
„Habe ich die Ehre, mit Miss Redmayne zu sprechen?" fragte er. „Ich bin der Pfarrer Ernest Partridge. Ich mußte zu Fuß gehen, obwohl ich eigentlich annahm, daß man mich an der Station abholen würde." Sein Händedruck war weich und ausdruckslos. Mary ärgerte sich. Im Augenblick konnte sie am allerwenigsten einen neuen Gast gebrauchen.
„Es tut mir sehr leid Mr. Partridge, aber wir sind alle in großer Aufregung. Cotton, bringen Sie den Koffer auf Nummer 3."
Mr. Partridge erschrak.
„Warum sind Sie denn aufgeregt? Hoffentlich hat sich kein Unfall ereignet, um die Schönheit und den Frieden dieses wundervollen Platzes zu stören?"
„Mein Vater wird Ihnen alles Nähere mitteilen. Darf ich Sie Mr. Fane vorstellen?"
Sie mußte sich zu diesem Akt der Höflichkeit zwingen.
Eine Sekunde später kam Chefinspektor Hallick eilig in die Halle.
„Haben Sie vielleicht einen Schauspieler in Ihrem Haus, Miss Redmayne?" fragte er.
„Schauspieler?" fragte sie und starrte ihn an.
„Ich meine Leute, die sich gerne verkleiden", sagte er geduldig. „Filmdarsteller zum Beispiel. Die kommen doch manchmal zu solch malerischen, romantischen Plätzen. Mein Assistent hat mir soeben erzählt, daß er einen Mann in einer schwarzen Kutte gesehen hätte, der aus der Gegend des Mönchsgrabes kam - er trug ein Gewehr in der Hand. -Verdammt, da ist er!"
Er zeigte durch das offene Fenster in den Park. Mary fühlte plötzlich, daß sie von starken Armen ergriffen und zur Seite gezogen wurde. Es war Fane, der sie hielt, und empört versuchte sie, sich loszureißen.
Im nächsten Moment fiel ein Schuß. Ein Geschoß sauste an ihrem Kopf vorbei und schlug in den Spiegel über dem Kamin ein. Es war so nahe, daß sie zuerst glaubte, sie wäre getroffen worden. Ferdie Fane hatte ihr das Leben gerettet.
9
Hallick machte sich sofort an eine genaue Untersuchung der ganzen Örtlichkeit, aber er fand nichts außer einer Patronenhülse. Schließlich fuhr er wieder in die Stadt und ließ Sergeant Dobie in Monkshall zurück.
Der Tag war furchtbar für Mary und schien nicht enden zu wollen. Die Gegenwart des Beamten von Scotland Yard beruhigte sie in gewisser Weise, obwohl ihr Vater dadurch nervös wurde. Glücklicherweise hielt sich Sergeant Dobie im Hintergrund und fiel weiter nicht auf.
Nur zwei Bewohner des Hauses schienen sich um die furchtbaren Dinge nicht zu kümmern: Mr. Fane und der Pfarrer. Der Geistliche war sehr redselig und erzählte bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Anekdoten, für die sich niemand interessierte. Nur Mrs. Elvery fand ihn interessant und hatte nun endlich jemanden, mit dem sie sich unterhalten konnte.
Mary war erstaunt über Ferdie Fane. Sie wußte nicht recht, was sie eigentlich von ihm halten sollte. Nachdem sie ihn jetzt genauer kennengelernt hatte, gefiel er ihr doch ganz gut, und wenn er nicht so unmäßig getrunken hätte - hätte sie ihn auch gern haben können. Wie sehr sie ihn in Wirklichkeit schon schätzte, wollte sie sich selbst nicht eingestehen. Er allein war vollkommen kühl und ruhig geblieben, als der Schuß fiel, der beinahe ihrem und vielleicht auch seinem Leben ein Ende bereitet hätte.
Am Nachmittag unterhielt sie sich mit ihm. Er war sehr liebenswürdig und vollkommen vernünftig.
„Sie meinen, der Mann hätte mich erschießen wollen", sagte er. „Um Himmels willen, nein! Aber schließlich hat ja jeder Feinde - ich auch!" „So, haben Sie Feinde?" fragte sie. Seine Augen leuchteten sonderbar, als er ihr antwortete.
„Vielleicht! Es gibt eine ganze Menge Leute, die mit mir abrechnen wollen."
„Mrs. Elvery sagte, Scotland Yard würde Inspektor Bradley herschicken." .
„Welchen
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