0724 - Vampirträume
des Obersten Guan von Choquai.«
Er verneigte sich. »Und ich bin der dritte Hofzauberer des Obersten Guan. Mein Name ist Tsa Mo Ra.«
***
»Ni de hua wo ting bu dong, Tsa Mo Ra.«
Zamorra zuckte zusammen, saß plötzlich kerzengerade im Sessel. Der leise Singsang Fu Longs hatte ihn auf fast magische Weise in die zweitausend Jahre entfernte Welt versetzt, aber die Erwähnung eines einzelnen Namens brachte ihn mit einem Ruck zurück.
»Was hast du gesagt?«, fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte.
»Ni de hua wo ting bu dong, Tsa Mo Ra«, wiederholte Fu Long und sah von den Schriftrollen auf. »Du weißt, wer gemeint ist.«
Zamorra stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. »Tsa Mo Ra, das ist mein Name in chinesischen Schriftzeichen. Der Paviankopf - Wu Huan-Tiao - nannte mich so, als ich ihm in Kuang-shis Vision begegnete. Damals warf er mir vor, ihn und Kuang-shi nach all den Jahren verraten zu haben. Ich dachte, er hätte mich verwechselt oder…«
Er blieb stehen. Die Verwechslungstheorie erschien ihm selbst unwahrscheinlich, aber was war die Alternative? War er tatsächlich dort gewesen und hatte unter Vampiren gelebt? Auch das konnte er nicht richtig glauben.
Shao Yu Wie ein Blitz zuckte der Name durch sein Bewusstsein. Ein Bild tauchte vor seinem inneren Auge auf: Er saß in einem Park, Schriftrollen mit fremden Zeichen vor sich. Eine Frau lief auf ihn zu. Sie lächelte und zeigte spitze Fangzähne.
Du warst oft im südlichen Park, nur nicht an den Jagdtagen…
Zamorra schüttelte irritiert den Kopf und strauchelte, als der Raum für einen kurzen Moment vor seinen Augen verschwamm.
»Was siehst du?« Fu Long klang weniger besorgt als neugierig.
»Nichts.«
Es war keine wirkliche Lüge, nur die Weigerung, Informationen preiszugeben, über die er keine Kontrolle besaß. Er wusste nicht, wer Shao Yu war oder was während der Jagdtage im südlichen Park geschehen war, hoffte jedoch, dass die uralte Schriftrolle Hinweise auf diese Fragen enthielten. Erst danach wollte er entscheiden, was Fu Long erfahren durfte.
»Es ist wirklich nichts«, sagte er. »Ich bin nur etwas müde.«
»Möchtest du dich ausruhen?«
»Nein, eine kurze Pause reicht mir.« Zamorra strich sich über den Bart, den er seit einiger Zeit wieder stehen ließ. »Gibt es hier ein Bad?«
Fu Long lächelte. »Wir sind Vampire, keine Schweine. Es ist am Ende des Gangs.«
»Danke.«
Zamorra öffnete die Tür und trat auf den Korridor hinaus. Die alten Holzdielen knarrten unter seinen Schuhen und er glaubte aus der unteren Etage Stimmen zu hören.
Jin Mei beruhigt wohl die Familie, dachte er.
Die Tür zum Bad stand offen. Zamorra schloss sie nicht, sondern lehnte sich einfach nur über das Waschbecken und öffnete den Wasserhahn. Eiskaltes Leitungswasser lief über seine Hände. Er tauchte das Gesicht hinein, spürte, wie die Kälte die Stimmen und Bilder aus seinem Kopf vertrieb und die Realität zurückbrachte. Etwas in ihm drängte nach draußen, aber er war nicht bereit das zuzulassen, solange er allein und beinahe wehrlos in einem Haus voller Vampire saß. Auch wenn Fu Long immer wieder betonte, dass sie auf der gleichen Seite standen, war Zamorras Vertrauen in ihn nicht grenzenlos.
Nicole hatte ihn gewarnt. Sie zeigte sich in diesem Punkt als noch misstrauischer als er selbst. Das war auch einer der Gründe, weshalb sie in Frankreich verblieben war. Zamorra wollte vermeiden, dass sie zu impulsiv auf alles reagierte, das ihr verdächtig vorkam.
Sie war da vorbelastet. Vor vielen Jahren war sie einmal vorübergehend zu einer Vampirin gemacht worden. Erst die Waldhexe Silvana hatte diesen Fluch von ihr nehmen können. Seither besaß Nicole ihre ausgeprägte telepathische Begabung.
Ein zweiter Grund, weshalb Zamorra allein nach Colorado geflogen war, bestand darin, dass es daheim im Château Montagne einiges zu tun gab. Die Attacke der Kobolde hatte für einigen Flurschaden gesorgt, und auch wenn Butler William die Renovierungsarbeiten mit Sicherheit ebensogut hätte überwachen können, wollte Nicole so schnell wie möglich zusätzliche magische Sicherungen anbringen.
Vor allem mussten die Regenbogenblumen im Château zusätzlich abgeschirmt werden. Kobolde reisen per Regenbogen von Welt zu Welt…
Und wie erstklassig sie das konnten, hatten sie den Menschen gezeigt und dabei auch versucht, den Jungdrachen Fooly zu entführen und zu töten, weil Drachen und Kobolde scheinbar natürliche Feinde waren.
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