0726 - Krematorium der Angst
müder Beamter gähnte sich erst aus, bevor er mir den Weg erklärte.
»Danke.«
Vor dem Bahnhof fand ich die Filiale in einem alten Gebäude aus der Gründerzeit. Hinter den Fenstern brannte Licht, das große Büro war allerdings nur mit einer Person besetzt. Ich war auch der einzige Kunde.
Der junge Mann war sehr freundlich. Ich konnte unter mehreren Modellen wählen und entschied mich für einen Rover. Ich erledigte die Formalitäten und wurde auf eine schmale Tür verwiesen.
»Dahinter beginnt der Gang, der zum Hof führt. Dort finden Sie die Wagen. Ihrer steht in der ersten Reihe ganz links.«
»Ist okay.«
Ich hatte das Fahrzeug schnell gefunden. Das Licht einer Lampe fiel schimmernd auf den dunklen Lack. Hier roch die Luft anders. Ich spürte die Nähe der See.
Den Schlüssel hatte ich bekommen. Der Koffer verschwand unter dem Deckel, dann startete ich zu einer Fahrt ins Ungewisse. Ein Ziel jedoch stand fest.
Es war das alte Industriegelände, nicht weit vom Hafen entfernt. Daß ich es finden würde, dafür sorgte schon der Stadtplan, den ich im Handschuhfach gefunden hatte…
***
Jill lächelte, als sie durch die Bahnhofsallee schritt. Gleichzeitig machte sie sich Vorwürfe. Sie empfand es plötzlich als falsch, wie sie John Sinclair behandelt hatte. Wenn er zur Polizei gehörte, mußte er einen Grund für sein Schweigen gehabt haben. Sie konnte auch keine Firmengeheimnisse weitergeben.
Liverpool bot als Stadt nicht viel. Die Ära der Beatles lag lange zurück, jetzt schwelgte man in Nostalgie, man sah sie überall, es gab neuerdings auch ein Beatles-Museum, doch den erhofften Aufschwung hatte es der Stadt nicht gebracht.
Die Stadt war ihr nicht mehr unbekannt. Sie wußte genau, wo sie den Wagen abstellen konnte, wenn sie nicht in Liverpool war. Nahe des Bahnhofs gab es unterirdische Garagen, in denen um die Zeit sicherlich noch Betrieb herrschte. In der tiefen Nacht hätte sich Jill als Frau da nicht allein hineingetraut.
Der Himmel war dunkel. Wolkenstreifen bedeckten ihn. Sie sah weder Mond noch Sterne. Dafür brannten in der Stadt zigtausend Lichter.
Große Bahnhöfe und deren unmittelbare Umgebung sind wohl überall auf der Welt gleich attraktiv für manche Bevölkerungsschichten, da machte auch Liverpool keine Ausnahme. Vielleicht trieben sich hier besonders viel Stadtstreicher und auch arbeitslose Jugendliche herum, und Jill Cooper sah zu, daß sie diese Zone so rasch wie möglich verließ.
Eine Treppe führte hinein in den unterirdischen Komplex der Tiefgarage.
Stickige Luft empfing sie. Vielleicht waren die Wände einmal hell gewesen, das lag lange zurück.
Jedenfalls waren einige jetzt bunt. Sprayer hatten ihre Parolen aufgeschmiert. Dabei hatten sie ihrem Frust und auch ihrem Haß freien Lauf gelassen. Sie sahen sich als Bewohner einer schon untergegangenen Stadt.
Jill dachte daran, daß sie nicht einmal so unrecht hatten. Zwar gab sie sich sehr optimistisch, was ihren Job anging, hin und wieder aber - in letzter Zeit sowieso öfter - verfiel sie in dumpfes Grübeln, aus dem sie keine Kraft schöpfen konnte und manchmal am liebsten alles hingeworfen hätte.
Der glatte Betonboden ließ ihre Tritte widerhallen. Sie ging sehr zügig, den Blick nach vorn gerichtet. Ein Wagen, ein Golf, stand immer an derselben Stelle. Einmal war er aufgebrochen worden, seit dieser Zeit besaß das Auto kein Radio mehr. Sie wollte auch kein neues einbauen lassen, es hatte keinen Sinn.
Sie schaute nach rechts und links.
Viel Betrieb herrschte hier unten nicht. Parktaschen nur für Frauen gab es auch nicht. Die Beleuchtung war nicht gut, die Decke war sehr niedrig und kam ihr bedrohlich vor. Nein, wohl fühlen konnte sich hier kein normaler Mensch.
Die junge Frau hörte den Motor eines Wagens. Das Röhren schwang durch die gesamte Halle. Es kam ihr vor, als hätte ein Ungeheuer sein Maul aufgerissen und gebrüllt.
Leider lagen die Stellflächen für Dauerparker nicht besonders günstig. Sie mußte tief in die verfluchte Garage hinein. Mit jedem Schritt, der sie ihrem Golf näherbrachte, wallte auch das ungute Gefühl in ihr hoch. Sie konnte es nicht begreifen, rational nicht fassen, aber die Furcht war nun einmal da und ließ sich nicht wegdiskutieren. Diese Furcht raubte Jill den Atem, und sie glaubte ersticken zu müssen.
Jill schauderte…
Drei Reihen noch, dann hatte sie ihren Wagen erreicht.
Jill ging schneller. Die Absätze hinterließen auf dem glatten Boden ein hämmerndes Stakkato. Der
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