0732 - Schattenreiter
schwierigsten Strecken bewältigte.
Fabienne machte der Job Spaß. Sie ärgerte sich auch nicht über das Wetter, sie war immer parat, und als Single war sie sowieso unabhängig.
Dreißig Jahre war sie mittlerweile geworden, stand mit beiden Beinen mitten im Leben, lechzte stets nach neuen Aufgaben und kam sich dabei vor wie ein Detektiv.
Sie war eine Frau, die anpacken konnte, die wußte, worauf es ankam, die sich nicht ins Bockshorn jagen ließ, die aber trotzdem nicht männlich wirkte oder zu den Emanzen gehörte.
Sportlich, das blonde Haar halblang geschnitten, sie liebte es, wenn der Wind hindurchfuhr, deshalb verzichtete sie auf eine moderne Frisur. Schlank, das Gesicht immer leicht gebräunt und vielleicht ein wenig zu knochig, denn die hochstehenden Wangenknochen sprangen ihrer Meinung nach zu stark vor. Ihr Mund war etwas scharf geschnitten, wirkte dabei aber wie gemalt. Sie freute sich, daß sie bei ihrer Arbeit sportliche und bequeme Kleidung tragen konnte. Auf modischen Schnickschnack verzichtete sie ebenso wie auf ein zu starkes Make-up. So etwas paßte einfach nicht zu ihr.
Pullover, eine Jacke mit vielen Taschen, Jeans, halbhohe Stiefel mit fester Sohle. Das war eigentlich ihre Berufskleidung, in der sich Fabienne mehr als wohl fühlte.
Nur gefiel ihr das Wetter nicht.
Auch wenn die Straßen nur wenig befahren waren, geriet sie im Nebel doch immer in die Gefahr, bei höher gelegenen Strecken vom Weg abzukommen und den Hang hinabzurutschen.
Außerdem kostete sie das Wetter Zeit. Fabienne gehörte zu den Menschen, die gern pünktlich waren, wenn sie eine Verabredung getroffen hatten. Heute würde sie es nicht schaffen, obwohl sie schon wesentlich früher losgefahren war.
Es klappte einfach nicht. Um die zahlreichen Seen hatte sich der Nebel so stark verdichtet, daß sie manchmal so gut wie überhaupt nichts sehen und nur mehr im Schrittempo fahren konnte. Mehr als einmal drang dabei ein ziemlich undamenhafter Fluch über ihre Lippen, aber es ließ sich nun einmal nicht ändern. Sie hatte sich Schottland ausgesucht und mußte auch mit den Wetterbedingungen leben.
Zum Glück schwächte sich die graue Brühe hin und wieder ab. Ein unheimliches Wetter, ein Wetter, das in diese Gegend paßte.
Schottland und Nebel, das gehörte zusammen wie die Sonne zum Sommer. Man mußte die Landschaft lieben, um hier zu bleiben, und Fabienne war eigentlich nie glücklich, wenn sie sich in Glasgow aufhielt, um in der Zentrale Büroarbeiten zu erledigen oder neue Kurse vorzubereiten.
Auch die Geräusche klangen anders. Viel leiser und gedämpfter. Das Knirschen der Reifen auf dem unebenen Boden kam ihr vor, als wäre es meilenweit entfernt, und auch das Krächzen der Vögel kam ihr fremd vor. Es waren zumeist Raben, Krähen und Elstern, die durch den dicken Nebel flogen oder so hoch stiegen, daß sie über ihm ihre Kreise ziehen konnten. Manchmal, wenn sie die Geräusche hörte, hatte sie das Gefühl, ausgelacht zu werden. Man amüsierte sich eben über die einsame Fahrerin, die durch die Bergwelt schaukelte.
Ihr Ziel war ein altes Schloß, das es schon vor achthundert Jahren gegeben hatte. Daß es nicht eine durch Kriege gewordene Ruine geblieben war, verdankte es einem spleenigen Whiskyhändler, der jeden Shilling in die Renovierung hineingesteckt hatte, aber daran finanziell zugrunde gegangen war. Er hatte soeben noch verkaufen können, um den Großteil der Schulden mit dem Erlös abzudecken. TAHJ hatte ihm ein faires Angebot gemacht und das alte Schloß weiter renoviert, denn es sollte im nächsten Sommer als Hotel eröffnet werden, um als Ausgangspunkt für zahlreiche Touren zu dienen.
Bis dahin mußte noch einiges getan werden, aber sie waren im Zeitplan, es würde zu schaffen sein.
Im Winter konnte das Schloß auch schon genützt werden. Fabienne hatte es sich ausgesucht, um einen Kursus abzuhalten. Einige Mitarbeiter verfügten leider über zu geringe historische Kenntnisse, um bei TAHJ als Reiseleiter fungieren zu können. Die mußten eben aufgemöbelt werden. Dafür war Fabienne die richtige Frau.
Die Männer und Frauen waren noch nicht eingetroffen. Erst Ende Januar sollte der Kurs beginnen, aber Fabienne wohnte bereits im Schloß, das für eine einzelne Person einfach zu groß war. Daß sie sich nicht einsam fühlte, lag daran, daß sie es einem kleinen Wanderzirkus gestattet hatte, im Schloßhof die kalten Monate zu verbringen. Zumindest bis Ende Januar, wenn der Kurs anfing. Wie es dann
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