0732 - Schattenreiter
dunkler Vorhang, der den kleinen Wagen in zwei Hälften teilte.
In der vorderen stand der Tisch. Er war ebenso festgeschraubt wie die beiden Stühle. Auf dem Teppich lag eine rote Decke, und rot waren auch die Polster der Stühle.
Auf einem Stuhl saß sie.
Es war schon eine ungewöhnliche Erscheinung, die mich da hereingebeten hatte. Ob sie klein oder groß war, konnte ich nicht erkennen. Jedenfalls saß sie auf dem Stuhl, trug eine dunkle Mantille, die glatt über dem schwarzen Haar lag. Ihr Kleid aus dickem Stoff zeigte ein Muster aus Stickereien und goldfarbenen Knöpfen. Um den Hals hatte die alterslos wirkende Person eine dunkle Perlenkette geschlungen. Aus ebenso dunklen Augen schaute sie mich an, als ich die Tür schloß und mich ihr dann gegenüber setzte.
»Ich bin Hanita«, sagte sie.
»Mehr nicht?«
»Nein.«
»Ich heiße John Sinclair.«
Sie rollte mit den Augen und strich über ihr dunkles Gesicht. »Ich habe diesen Namen noch nie gehört, glaube ich, aber trotzdem spüre ich, daß du nicht so bist wie andere.«
»Wie kommst du darauf?«
Sie hob ihre Hände an, die bisher ruhig auf dem Tisch gelegen hatten. Mir fiel auf, daß es in diesem Wagen sehr warm war. Zudem roch die Luft auch so seltsam nach Kräutern. Ihre Finger waren lang.
Die Nägel hatte sich die Frau schwarz lackiert. In mir war längst ein gewisser Verdacht hochgekeimt, den ich zunächst für mich behielt.
»Ich habe es gespürt.«
»Was gespürt?«
»Daß du etwas aus der Reihe fällst«, erklärte sie lächelnd.
Mir war diese Antwort zu schwammig und zu allgemein. Sie hatte mein Mißtrauen geweckt. Wußte diese Hanita mehr, als sie bisher zugegeben hatte?
Sie beobachtete mich. Ihrem Blick konnte ich nichts entnehmen. Er war neutral. Doch tief in den Schächten der Pupillen glaubte ich etwas aufglimmen zu sehen, das mich mißtrauisch machte. Diese Frau umgab ein Geheimnis, ein Rätsel. Möglicherweise war sie selbst ein Orakel. So etwas fand man in einem Zirkus noch heute. Geheimnisvolle Frauen lasen aus den Händen, schauten in alte Glaskugeln und sagten die Zukunft voraus. In fast allen Fällen war es Schummelei, aber es gab auch Ausnahmen, Menschen, die tatsächlich in die Zukunft schauen konnten, und Hanita schien mir zu dieser Gruppe zu zählen.
Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß ich einer derartigen Person gegenübersaß. Im Lauf der Zeit hatte ich auch ein Gefühl dafür entwickelt, wer täuschte und wer nicht.
Ich sah keine Kugel, keinen Kaffeesatz, ich brauchte ihr auch nicht die Hand entgegenzustrecken.
Da es mir zu warm war, unterbrach ich die Ruhe und zog meine Jacke aus. Sie fand auf der Stuhllehne ihren Platz.
»Es ist gut, daß du hier bist, John«, flüsterte die Frau mir über den Tisch hinweg zu.
»Warum?«
»Weil dieser Boden und diese Umgebung nicht gut für uns sind. Ich habe es genau gespürt, ich habe es den anderen auch gesagt, aber sie reagierten nicht.«
»Warum sollten sie?«
Hanita drückte ihren Oberkörper etwas vor. »Weil es nicht gut ist, hierzubleiben. Es gibt hier Kräfte, die uns über sind. Sie sind böse, sie sind noch im Verborgenen, aber wer so sensibel ist wie ich, der kann sie schon spüren.«
»Welche Kräfte?«
Hanita hob die Schultern. »Ich kann es dir nicht sagen. Ich kann sie auch nicht fassen, sie sind für mich zu schwammig. Ich spüre nur, daß es sie gibt.«
»Was war der Auslöser?«
»Es ist schwer zu sagen. Ich habe geträumt. Ich sah die Schatten, ich sah das Böse. Ein böses Ding, ein großer, unheimlicher Traum, ein Wesen, das hier herrscht. Ich spürte die Kälte in meinem Traum. Sie überkam mich, und als ich erwachte, da kam ich mir vor, als läge auf meinem Körper eine Eisschicht.«
Ich hatte sehr genau zugehört und war bei der Erwähnung des Begriffs Schatten leicht zusammengezuckt. Sofort kam ich darauf wieder zu sprechen. »Warum hast du die Schatten erwähnt?«
»Das kann ich dir sagen. Weil sie es sind, die uns bedrohen. Nicht die Nebelschatten, sondern die aus der Tiefe, aus einem anderen Reich, dämonische Schatten.«
Ich nickte.
»Bist du deshalb gekommen?«
»Wieso?«
Ihre dünnen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Sie schaute gegen die Decke, als ob sie dort die Lösung ablesen konnte. »Es ist nichts passiert bisher, aber es wird etwas passieren. Die Schatten sind näher gekommen, sie haben sich verdichtet. Diese Burg gehört nicht den Menschen, sie befindet sich im Besitz anderer Kräfte, und die kennen kein
Weitere Kostenlose Bücher