0734 - Dem Wahnsinn nahe
Mister.«
Ich grüßte zurück.
»Europäer oder aus den Staaten?« fragte er mich.
»Engländer.«
»Ich komme aus Schweden, heiße Mark Olson.« Er streckte mir seine Hand entgegen.
»Angenehm, John Sinclair.«
»Alles klar.«
Ich holte tief Luft und ärgerte mich wieder über den Gestank, was mich aber auf das Thema brachte.
»Können Sie mir erzählen, was Sie in dieser gottverdammten Landschaft suchen?«
Er hustete und lachte zugleich. »Landschaft ist gut«, sagte er. »Das ist ein einziger Haufen Dreck, verseucht von Ratten und anderem Getier. Hier vegetieren die Menschen nur. Sie siechen dahin, ihr Ende ist nahe. Verflucht sind sie alle.«
Ich spürte plötzlich ein kaltes Gefühl auf dem Rücken. »Meine Güte, Mr. Olson, Sie reden, als wäre dies hier eine Leprastation.«
Er schaute mich so seltsam an, daß ich erschrak. »Habe ich denn recht?«
»Fast.«
»Was ist es dann?«
»Plagen der Zivilisation, mein Lieber. Sie befinden sich auf einem verdammten Hügel, der einmal eine Müllkippe war oder noch ist. Gift, wohin Sie schauen.«
»Wie viele Menschen wohnen hier?« flüsterte ich.
Er hob die Schultern. »Tausend, zweitausend, viertausend? Ich weiß es nicht.«
»Und was tun Sie hier?«
»Gute Frage, Sinclair. Ich war mal Idealist. Das liegt erst zwei Jahre zurück, mir kommt es vor, als wäre es ein halbes Leben. Ich wollte aus dem Wohlstand raus, anderen helfen und ihnen so gut wie möglich ein menschenwürdiges Dasein zurückgeben. Alles für die Katz. Alles im Arsch, mein Lieber. Sie kommen hier nicht durch, es klappt einfach nicht, es ist zu spät. Diese Agonie werden sie nie vertreiben können. Die Menschen sind vergiftet. Der Tod ist der Tod. Er bringt ihnen die Seuchen, er raubt ihnen das Leben scheibchenweise, und auch ich fühle mich immer schwächer.«
»Dann stehen Sie auf verlorenem Posten!«
»Kannst du sagen, Partner. Ich bin der letzte Idiot, das ist irgendwie egal.«
»Sagen Sie, Mr. Olson, sind Sie allein?«
»Jetzt ja.« Er wischte über seinen Mund. »Die anderen sind verschwunden.« Dann schaute er mich mißtrauisch an. »Okay, ich habe viel von mir erzählt, jetzt sind Sie an der Reihe. Woher kommen Sie? Ich habe Sie noch nie hier gesehen? Was hat Sie hergetrieben?«
»Soll ich sagen, daß ich mich verlaufen habe?«
»Würde ich Ihnen nicht glauben. Sie sehen nicht aus wie ein Idiot, der sich hier verläuft.«
»Danke.«
»Keine Ursache. Also?«
Ich schaute an ihm vorbei. Der Himmel zeigte eine Farbe wie dunkle Asche. Er war nie richtig klar, denn irgendwo stiegen immer Rauchschwaden hoch, die auch die schmale Sichel des Mondes verwischten. Sie stand wie ein Zeichen am Himmel. Das gesamte Gelände schien von diesem unerträglichen Geruch eingepackt zu sein. Es war mir Zeit genug für eine Geschichte geblieben, die ich mir ausgedacht hatte. Ich berichtete dem Schweden von einem Überfall.
»Hier?«
»Nein, hier in der Nähe. Ich habe mich nur verstecken können. Sie zerrten mich aus dem Wagen und wollten mich zusammenschlagen.« Mein Grinsen wurde schief. »Ich bin gut in Form, wissen Sie. Meine Beine können mich schon tragen…«
»Geflohen also?«
»Richtig.«
Olson nickte. Dabei sah er nicht aus, als wollte er mir die Geschichte so abnehmen. Er hob die Schultern, ging nicht näher darauf ein, sondern sagte: »Ich dachte schon, Sie hätten Angst vor dem Mann mit dem kalten Gesicht gehabt.«
Für einen Moment zuckte ich zurück. »Wie bitte? Was haben Sie da gesagt?«
»Der Mann mit dem kalten Gesicht.«
»Wer ist das?«
Bisher waren die Antworten auf meine Fragen prompt erfolgt. Nun reagierte Olson anders. Er schaute sich um und duckte sich dabei. Sein Gesicht nahm eine bleiche Farbe an. Er schaute sich um, als könnte er irgendwo Feinde entdecken. Sogar eine Gänsehaut zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. »Der Mann mit dem kalten Gesicht ist der Tod«, flüsterte er. »Der Tod auf zwei Beinen.«
»Doch kein Gerippe.«
»Nein, Unsinn. So wird er genannt. Er ist der heimliche Herrscher in diesem verdammten Viertel. Er ist der Tod auf zwei Beinen. Er wird kommen und vernichten. Er bringt das Grauen.«
»Das ist mir zu allgemein. Was tut er?«
Olson fuhr mit beiden Händen über seine Wangen, als wollte er die Haut straffen oder sogar abziehen. »Er holt sich die Ärmsten der Armen, verstehen Sie? Er tauchte hier auf, und dann sind es die Menschen, die verschwinden. Sie haben noch einen anderen Namen für ihn. Sie nennen ihn den
Weitere Kostenlose Bücher