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0742 - Der Junge mit dem Jenseitsblick

0742 - Der Junge mit dem Jenseitsblick

Titel: 0742 - Der Junge mit dem Jenseitsblick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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angenommen hatte. Durch den breiten Mantel war er doch getäuscht worden. Der Mann trug eine blaue Jacke, einen dunklen Pullover darunter und eine ebenfalls dunkle Hose. Auf seiner Oberlippe wuchs der dünne Bart wie ein leicht gekrümmter schwarzer Pinselstrich.
    Das Kinn war an den Seiten eckig und an seinem unteren Ende abgerundet. Es verfremdete das Gesicht. Das dunkelbraune Haar trug der Mann brav gescheitelt, so daß er einen harmlosen Eindruck machte. Aber der wiederum täuschte.
    Elohim hatte sich wieder gefangen. Er mühte sich um eine Frage, als er flüsterte: »Was ist denn? Was wollen Sie von mir?«
    »Dich!«
    »Ja, ja, aber warum?«
    »Kannst du dir das nicht denken?«
    »Nein, ich weiß es nicht.«
    »Du darfst dein Ziel nicht erreichen. Du darfst unter keinen Umständen nach Pontresina fahren. Wir müssen es verhindern. Wir wollen nicht, daß die Kreaturen der Finsternis es schaffen, einen neuen König zu bekommen. Das darf einfach nicht geschehen. Deshalb werde ich dich töten müssen. Du hast mir einen Gefallen getan, als du aus deinem Abteil gegangen bist. Nun gibt es kein Zurück mehr für dich.«
    Der Junge schluckte. Die Angst war da. Sie kroch in seinen Körper, aber sie erreichte sein Hirn nicht und beschrieb auch um sein Herz einen Bogen.
    Er blieb innerlich kalt und abwartend, schaute den Mann mit der Waffe beinahe locker an und sah auch, daß sich auf dessen Stirn Schweißperlen gebildet hatten. Er war sicherheitshalber noch einen Schritt zurückgetreten, damit er sich an die Ecke der Tür anlehnen konnte, um so die Schwingungen des Zuges auszugleichen. Er fuhr mit der Zungenspitze über seine trockenen Lippen, und die Sicherheit des ersten Augenblicks hatte er verloren.
    Dieser Junge war ihm nicht geheuer…
    Es verging eine Minute, ohne daß jemand ein Wort gesprochen hätte. Das Schweigen lastete über dem Abteil. Elohim fragte sich, ob Dagmar nicht aufgefallen war, wie lange er fortblieb. Wenn sie wieder tief und fest eingeschlafen war, hätte sie davon nichts mitbekommen, aber das wiederum war nicht ihre Art.
    Hier stimmte etwas nicht…
    Warum schoß der Mann nicht?
    Elohim bewegte sich. Er hob den rechten Arm an und legte die Hand auf seinen Oberschenkel.
    Nichts passierte.
    Sollte er aufstehen?
    Als er es versuchte, zuckte der Mann zusammen. »Bleib nur sitzen. Bleib nur auf dieser Kante.«
    »Und dann?«
    »Dicht vor dem nächsten Halt werde ich dich töten. Ich muß es tun, denn du bist kein Kind mehr. Du bist Elohim, der Götze. Du gehörst zu ihnen, zu den Kreaturen der Finsternis. Sie wollen dich, um dich anzubeten. Sie wollen das Chaos der alten Zeit, und wir haben es gespürt. Wir haben lange gebraucht, um euch auf die Spur zu kommen, aber jetzt haben wir es geschafft.«
    »Ich kann Sie nicht begreifen…«
    »Das brauchst du auch nicht. Wichtig ist allein nur, daß du Pontresina nicht erreichst.«
    »Warum denn nicht?«
    »Das brauche ich dir wohl nicht zu erklären, Junge. Du bist ihre Zukunft, aber wir wollen die Zukunft zerstören. Sie soll erst gar nicht beginnen, hast du gehört?«
    »Ja, schon…«
    »Und jetzt leg dich hin.«
    »Wie…?«
    »Auf das Bett und auf den Bauch. Ich will, daß du es tust, Kleiner. Leg dich hin!«
    »Wann wollen Sie mich denn erschießen?«
    »Bald!«
    Elohim wunderte sich über sich selbst, wie gelassen er diese Situation hinnahm. Selbst ohne Dagmar spürte er nicht die schreckliche Angst, die normal gewesen wäre. Er hatte in den letzten Sekunden bewußt lauter gesprochen und rechnete damit, daß Dagmar seine Stimme hörte und erfuhr, was los war.
    Er dachte an die Szene im Kölner Hauptbahnhof. Dort war die alte Frau erschienen und hatte sich vor ihm gefürchtet. Für sie war er so etwas wie der Teufel gewesen.
    Und dann dachte er an seine Kraft, die in ihm steckte. Er hatte sie gespürt, sie war in ihm hochgeschossen, und seine Augen mußten sich dabei verändert haben.
    War er wirklich so mächtig?
    Wenn ja, konnte es Elohim nicht begreifen. Er wußte nicht viel über seine Herkunft, kannte auch seinen Vater nicht, war in einer Privatschule erzogen worden, bis dann Dagmar erschienen war und sich um ihn gekümmert hatte.
    »Beweg dich endlich!« Um die Worte zu unterstreichen, drückte ihm der Mann die Mündung gegen den Hals. Elohim kam dem Befehl nach, drehte sich nach links und legte sich dann auf den Bauch.
    Er zog auch die Beine an und streckte sie aus. Allerdings hatte er den Kopf leicht gedreht, so daß er gegen die Wand des

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