0743 - Die Kinder des Adlers
ein Wimmeln und Wuseln von Arbeitern, die Leiter hinauf- und hinabstiegen.
Jeder ächzte unter der Last eines Sackes. Krummbeinig und gebückt eilten sie an den Fremden vorbei. Die schwere Arbeit hatte die Männer knorrig wie alte Wurzeln werden lassen. Von Kopf bis Fuß von Schlamm bedeckt, leuchteten nur noch ihre Augen weiß aus hageren Gesichtern. Schweigend keuchte die Reihe an Nicole vorbei.
Sie drehte sich eben um, da traf sie ein Stoß und warf sie zu Boden. Sie spürte etwas in ihrer Hand, richtete sich wieder. Es war unmöglich zu erkennen, wer sie angestoßen hatte. Aber in ihrer Hand war plötzlich ein Fetzen Papier, auf dem ein stilisierter Adler aufgemalt war.
»Sieht aus wie eine Tätowierung«, vermutete Tendyke, als sie den Weg zurück zum Fluss gingen. »Der Stil ist mittelamerikanisch, so in Richtung Maya oder Olmeken, würde ich mal sagen.«
»Ist das eine Spur?«
»Vielleicht eher ein Ablenkungsmanöver.«
»Wonach graben diese Leute?«, fragte Nicole nach einer Weile.
»Die Frage habe ich mir auch schon gestellt.«
»Gold?«
»Das wäre nahe liegend, aber ich glaube es nicht. Ich habe mir die Halle näher angeschaut. Es gibt einen Abfluss, aus dem kommt purer Schlamm. Da sind keine Chemikalien im Spiel, mit denen die brasilianischen Digger ansonsten die Flüsse vergiften. Egal was es ist, Gold ist es nicht.«
»Vielleicht sollten wie Saramango fragen. Dem wird die Grube ja wohl gehören.«
***
Saramango wand sich lüstern unter den Lippen Luizas, als eine Stimme vom Flur erklang.
»Ich will nicht gestört werden«, brüllte Saramango, obwohl er wusste, dass der Hüne mit der Adlertätowierung ihn nur störte, wenn es mehr als dringend war. Ein Stoß gegen Luizas Schulter warf die Frau vom Bett. Sie nahm es mit einem Lachen hin.
»Du verpasst etwas, Brüderchen«, flüsterte sie.
»Ich weiß, zum Teufel, ich weiß.«
Und den muskulösen Hünen fuhr er an: »Gib mir einen guten Grund für deine Störung, sonst bist du Fischfutter.«
»Aus der Hütte der Hexe dringt derartiger Verwesungsgestank, dass die Nachbarn schon murren.«
»Haut ihnen aufs Maul«, knurrte Saramango, aber er folgte seinem Untergebenen dennoch zur Hütte der Alten. Der süßliche Gestank nach Verwesung, der über der Hütte schwebte, war wirklich unerträglich. Die Wachen, die Saramango vor der Tür platziert hatten, hielten schon Abstand und drückten sich feuchte Tücher vor den Mund.
Nach kurzem Zögern befahl Saramango, die Tür aufzubrechen. Der Hüne ließ sie mit einem Ellenbogenstoß splittern und duckte sich dann, weil eine Wolke von Aasfliegen durch die Öffnung summte.
Innen fanden sie die Leichen der Prostituierten und der Alten. Die Erste war nur noch eine ausgeweidete Hülle. Die andere hockte an ihrem üblichen Platz am Tisch, der Kopf lag auf der Platte, ihr Kleid war an der Brust blutdurchtränkt.
Saramango floh mit einem wilden Fluch. Er traf auf dem Weg Luiza, die ihm entgegenkam. Ihr Kleid wippte bei jedem Schritt, ein Duft von Parfüm umwehte die schwarzhaarige Schöne.
»Die Alte hat versagt - na und?«, tröstete sie Saramango. »Diese alte Vettel hat immer mehr versprochen als getan.«
»Sie war mein Auge in den anderen Wald.«
»Oh, wie hübsch du das sagst. Aber du solltest lieber auf dieser Seite der Welt deine Augen aufmachen. Dann siehst du nämlich die Fremden, und die werden uns schon zu dem Häuptling führen. Und wenn diese stinkende Kothaut hopps ist, dann kümmert uns der Wald nicht mehr, weil es den Wald nicht mehr gibt.«
»Aber das magische Gold, das wird es dann endlich geben«, sagte Saramango.
***
Der Junge machte Zamorra Sorgen.
Leo bemühte sich zwar um eine tapfere Haltung, aber er war sichtlich geschwächt und hatte immer häufiger Phasen, in denen er wie abwesend hinter dem Dämonenjäger hertrottete. Obwohl »Butler Scarth«, sie weiterhin eifrig und pünktlich zu den Mahlzeiten mit Früchten bombardierte, kam Leo nicht zu Kräften.
Der Weg bot keine besonderen Schwierigkeiten. Sie hielten sich direkt am Ufer. Hier gab es nur wenige Pflanzen, der Boden war weich, aber dennoch fest genug, um darüber zu laufen. Trotzdem kamen sie nur langsam vorwärts, weil der Junge immer wieder Erholungspausen brauchte. Professor Zamorra legte inzwischen von sich aus häufige Pausen ein, um Leo nicht das Gefühl zu geben, er wäre eine Behinderung. Aber inzwischen schaffte Leo nicht einmal mehr die übliche Strecke zwischen ihren Aufenthalten. Zuletzt musste Zamorra
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