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0743 - Die Kinder des Adlers

0743 - Die Kinder des Adlers

Titel: 0743 - Die Kinder des Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Austin Osman
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einen Stock in den Boden gerammt, auf dessen Spitze ein geschnitzter Adler thronte.
    Zamorra sah, dass der Mund des Alten geschlossen blieb. Dennoch hörte er die Stimme in seinem Kopf.
    »Es ist gut, dass du gekommen bist, mein Sohn. Viel Zeit hast du nicht mehr…«
    ***
    Nicole streckte die Arme aus, um den Aufprall abzufedern. Aber in dem Augenblick, in dem sie das tat, war ihr schon klar, dass es nichts nützen würde. Zu tief stürzte sie, zu schnell. Sie platschte in den Fluss, tauchte unter, strampelte und wurde noch unter der Oberfläche weitergezogen.
    Als sie auftauchte, fand sie sich zwischen treibenden Essensabfällen unterhalb eines Pfahlbaus. Es gab hier keine Strömung, allerdings war das Wasser so tief, dass Nicole wieder versank und sich an dem Ekel erregend schlammigen Grund abstoßen musste, um prustend wieder an die Oberfläche zu gelangen. Neben sich sah sie das Gesicht der Indianerin, die vorwurfsvoll den Finger auf die Lippen legte und dann die Richtung anzeigte. Leise schwammen die beiden Frauen unter den Pfahlbauten durch und kamen zum Rand der Ansiedlung. Dort krochen sie das Steilufer hoch und versteckten sich im Gebüsch.
    Keuchend schauten sie durch die Blätter auf den Ort ohne Namen. Zu dem wütenden Stimmengewirr gesellte sich inzwischen Hundegebell. Sie waren hier nicht mehr sicher.
    Nicole schrie leise auf, als hinter ihnen ein Rascheln ertönte und eine Gestalt aus dem Schatten glitt. Es war ein junger Indianer, der mit seiner schwarzen Gesichtsbemalung bedrohlich aussah. Erst als die Frau dem Mann um den Hals fiel, war ihr klar, dass keine Gefahr bestand.
    »Mein Mann«, sagte die Frau plötzlich zu Nicole. Sie sprach verständlich, wenn auch mit einem starken Akzent. »Er kommt, um mich in der Nacht zu holen.«
    »Na, die Mühe kann er sich jetzt sparen«, sagte Nicole.
    Sie musste irgendwie zu dem Treffpunkt kommen, an dem Tendyke sie erwarten wollte. Es handelte sich um die schmale Rollbahn, die von dem Flugfeld zum Ort führte.
    Nicole versuchte, der Frau ihre Situation zu erklären.
    Die nickte und unterhielt sich mit dem Mann in ihrer Sprache. Sie benutzten klangvolle Worte voll von weichen Übergängen und musikalischer Vokale. Nicole kam der Gedanke, dass sich diese Sprache hervorragend für Opernaufführungen eignen würde. Dann kam ihr das Hundegebell, dieses Mal viel näher, ins Ohr, und sie wusste, welches Stück auf der Bühne der Realität gegeben wurde.
    Sie hasteten am Waldrand entlang. Schon von weitem erkannte Nicole den wartenden Robert Tendyke. Neben sich hatte er ein Gefährt, das aus der geschlossenen Anstalt für durchgeknallte Autobastler zu stammen schien.
    Die Bodengruppe und der hinten liegende Motor machten deutlich, dass das Ausgangsprodukt bei VW do Brasil vom Band gerollt sein musste. Aber man hatte den Käfer völlig seiner Karosserie beraubt, sodass nur der Boden samt Motor und Fahrersitz geblieben war. Ein rostiges Wellblech schützte die Passagiere vor dem Fahrtwind. Auf der Vorderachse lag ein Ölfass, das als Tank diente.
    »Sag nichts«, rief Tendyke schon von weitem. »Wa's anderes war nicht zu haben. Saramango will nicht, dass wir uns hier verziehen.«
    »Schon wieder ein Punkt, an dem ich und Saramango verschiedener Meinung sind«, japste Nicole. »Wir nehmen übrigens diese beiden Anhalter mit.«
    ***
    »Wo sind wir hier?«, fragte Zamorra.
    Anstatt zu antworten, schüttelte der Alte nur den Kopf.
    »Es gibt keine Zeit für Antworten«, erklang seine Stimme hinter Zamorras Stirn. »Später. Jetzt musst du gehen. Die tote Welt wächst. Und wenn du überleben willst, dann musst du die tote Welt besiegen.«
    »Was ist die tote Welt?«
    »Schau nur.« Der Alte erhob sich mühsam und deutete in die Richtung, aus der das Unwetter heranzog. »Dort ist es. Sie zerstören den Wald. Sie vernichten das Leben, um nach Schätzen zu graben. Jeden Tag kommen sie näher. Wenn sie das Herz des Waldes erreicht haben, ist alles verloren. Dann stirbt der Wald.«
    Und alles, was sich in dem Wald befindet, ergänzte Zamorra im Stillen. Als hätte der Alte seine Gedanken gelesen, nickte er nun.
    Zögernd wandte sich Zamorra ab und ging aus der Wurzelschlucht heraus. Leo schaute ihn fragend an.
    »Du bleibst hier!«, befahl Zamorra.
    Er stieg den Hügel hinunter, bemerkte die heiße Luft, die ihm den Schweiß aus den Poren trieb und ging dorthin, wo die Wolken aufstiegen. Er brauchte nicht lange zu gehen, als er das Krachen stürzender Bäume hörte und dann das

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