0744 - Die Verwandlung
denn sie hatten dort kaum etwas zu tun.
Ich erzählte Jessica Long von meinen Erlebnissen, und es tat mir gut, daß jemand da war, der mir zuhörte und mich mit keiner Frage unterbrach. Erst später, als ich schon längst verstummt war, da nickte sie mir zu.
»Ja, John, ich kann dich verstehen. Ich kann dich sogar sehr gut verstehen. Mir wäre es in diesem Fall nicht anders ergangen. Es muß dir unter die Haut gegangen sein.«
»Deshalb werde ich weitermachen.« Die Antwort kam mir in dieser trüben Stimmung irgendwie falsch vor, und sie hörte sich fast an wie eine Lüge, aber ich hatte ihr die Wahrheit erzählt. Ich mußte einfach weitermachen und fragte sie nach Dagmar.
»Hast du sie gesehen?«
Jessica gönnte sich einen neuen Martini. Sie trank und bewegte ihre Lippen, als wollte sie das Getränk kauen. »Wenn du mich direkt fragst, muß ich dich leider enttäuschen. Ich habe die ganze Zeit über hier gesessen, sie aber nicht zu Gesicht bekommen. Da sie nicht mehr hier ist, muß sie einen anderen Weg genommen haben. Es gibt ja einige in diesem großen Hotel.«
»Was macht sie jetzt? Wie reagiert sie?«
Jessica deutete gegen die Scheibe. »Du hast mir erzählt, daß die Menschen noch draußen warten. Kann es denn nicht sein, daß sie mit ihnen Kontakt aufnehmen will? Zudem ist da noch der Junge. Sie war ja so etwas wie seine Beschützerin, und das wird sie bestimmt auch nach Dr. Sträters Vernichtung bleiben.«
»Warum läßt sie ihn dann allein?« murmelte ich.
»Du mußt sie finden und fragen.«
»Das werde ich auch.«
»Wie, wenn ich dich fragen darf?« Ich schaute schräg gegen den Spiegel und sah mein Gesicht, das ziemlich alt aussah. Erschöpfung zeichnete meine Züge. Um die Augen herum trug ich Trauerränder. Von wegen Erholung. Die nahe Vergangenheit hatte mich ziemlich mitgenommen. »Es ist durchaus möglich, daß sie in das Hotel zurückkehrte und es nicht wieder verlassen hat. Der Kasten ist groß genug, um sich zu verstecken.«
»In ihrem Zimmer.«
»Zum Beispiel.«
»Kennst du die Nummer?«
Ich winkte ab. »Es wird kein Problem sein, sie herauszubekommen. Aber zuvor muß ich einfach nach Franca Simonis schauen. Was sie betrifft, sind auch noch Fragen offen.«
Jessica schaute nach unten. »Du hängst sehr an ihr, nicht wahr?«
Ich breitete für einen Moment die Arme aus. »Was heißt an ihr hängen? Franca ist fast eine Kollegin. Sie arbeitet eben nur für eine andere Institution oder Firma.«
»Ist es tatsächlich der Vatikan?«
»Ja. Weshalb sollte sie mich anlügen?«
»Du hast nie zuvor davon gehört?«
Ich wiegte den Kopf. »Sagen wir mal so. Es gab Hinweise. Auch in großen Illustrierten wurde darüber geschrieben, aber konkrete Spuren haben meinen Weg bisher nicht gekreuzt. Ich sehe deshalb keinen Grund, ihr nicht zu glauben.«
»Was weiß sie denn alles?«
Ich runzelte die Stirn. »Verstehe ich nicht. Wie meinst du das denn?«
»Nun ja, was sie herausgefunden hat…«
»Nicht mehr und nicht weniger als ich. Daß alles vorbereitet war, um Henoch eine Inkarnation erleben zu lassen. Das ist alles. Aber es reicht aus.«
»Wo willst du nach ihr suchen?«
»In ihrem Zimmer.«
»Okay, ich warte dann hier.«
»Wobei ich kein gutes Gefühl habe«, erklärte ich und rutschte dabei vom Hocker.
Jessica strich die Haare zurück. »Nur so, oder hast du schon konkrete Hinweise?«
»Nein, die nicht.«
»Viel Glück.«
Ich ging noch nicht und sagte ihr, daß ich es nicht gut fand, wenn sie allein zurückblieb.
Jessica lachte mich an. »Da mach dir mal keine Sorgen. Die große Gefahr ist vorbei.«
»Und Dagmar?«
»Sitzt in einer Ecke und schmollt. Außerdem kann ich von hier aus durch das Fenster nach draußen schauen und den Rest dort ganz gut im Auge behalten.«
»Nun ja, wie du willst. Ist vielleicht gar nicht schlecht. Ich bin jedenfalls so schnell wie möglich wieder zurück.« Mit der flachen Hand klopfte ich auf die Theke und verließ die Bar.
So ganz gefiel mir der Plan nicht, denn gern ließ ich Jessica nicht zurück. Andererseits machte ich mir Sorgen um Franca Simonis, und die waren sicherlich nicht kleiner geworden.
Ich nahm nicht den Fahrstuhl, sondern stieg die Treppen hoch. Im breiten Treppenhaus war es menschenleer und natürlich entsprechend still. Niemand kam mir entgegen, niemand hielt sich versteckt.
In den breiten Gängen brannte nur die Notbeleuchtung, ansonsten hatten die Schatten die Helligkeit zum größten Teil verdrängt.
Ihr Zimmer lag in der
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