0744 - Die Verwandlung
vierten Etage. Ich war langsam gegangen und deshalb nicht außer Atem, als ich das Ziel erreichte. Vor mir lag der lange Gang.
Schatten durchwehten ihn. Ich hatte den Eindruck, am Beginn einer Höhle zu stehen, an deren Ende ein makelloser Schrecken lauerte. Warum schwitzte ich plötzlich? Hatte ich mich von dieser Zwangsvorstellung einlullen lassen?
In den vom Gang abzweigenden breiten Nischen hatten Hydrokulturen ihren Platz gefunden. In der Dunkelheit sahen sie aus wie gespenstische Gestalten, die nur auf mich gewartet hatten, um mich zu begrüßen, denn einige Blätter bewegten sich im leichten Windzug.
Der Weg zum Zimmer 412 fiel mir immer schwerer. Die Last lag auf meinen Schultern. Ich sah sie nicht, aber sie war wie ein Alp, der immer tiefer drückte und sich von Sekunde zu Sekunde verstärkte. Die Furcht, in ein schreckliches Loch zu fallen, ließ sich nicht mehr unterdrücken. Meine Schritte wurden immer schwerer, je mehr ich mich dem Zimmer näherte. Ich hatte den Eindruck, nicht mehr vom Verstand geleitet zu werden, sondern vom Gefühl her.
Dann stand ich vor der Tür.
Da in der Nähe die Lampe der Notbeleuchtung brannte, war sie ziemlich gut zu erkennen.
Die Klinke schimmerte matt. Wenn die Tür verschlossen war, würde es nicht einfach sein, sie zu öffnen.
Ich probierte zunächst einmal die einfachste Möglichkeit und drückte die Klinke nach unten.
Die Tür war offen.
Zufall? Absicht?
Ich drückte sie nach innen. Der Spalt war etwa schulterbreit geworden, als sie gegen ein Hindernis stieß, das auf dem Boden lag. Meine Hand rutschte von der Klinke. Plötzlich durchtoste mich ein heißer Schreck. Ich befürchtete das Schlimmste, schaffte es allerdings nicht mehr, das Hindernis zur Seite zu drücken.
Die Spaltbreite mußte reichen. Ich schob mich in den Vorflur des Zimmers hinein, wo ich sofort nach dem Schalter tastete und das Licht anknipste.
Sie lag vor mir in ihrem Blut.
Ich schloß die Augen, weil ich das furchtbare Bild nicht wahrhaben wollte, und als ich sie wieder öffnete, war es trotzdem geblieben. Für Franca Simonis gab es keine Rettung mehr, denn jemand hatte sie auf bestialische Weise getötet.
Er hatte es nicht dabei bewenden lassen, sondern ihr auch noch das Herz geraubt!
***
In diesen langen Augenblicken wußte ich nicht, was ich denken sollte. In meinem Innern befand sich eine völlige Leere, und ich selbst hatte ebenfalls das Gefühl, in einem Vakuum zu stehen, in dem die Zeit nur eine untergeordnete Rolle spielte.
Als ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, schoß mir eine Frage in gleich mehreren Variationen durch den Kopf. Wer hatte das getan? Welche Bestie konnte ich dafür verantwortlich machen? Wer war so grausam und raubte einem Menschen das Herz?
Ich wußte es nicht, obwohl mir zahlreiche Möglichkeiten durch den Kopf schossen und ich schließlich an einer Alternative hängenblieb. Das war Dagmar!
Ja, verdammt! Für mich kam keine andere in Frage als diese sogenannte Gouvernante, die mir geheimnisumwittert vorkam.
Meine Kehle trocknete allmählich aus. In den Augen spürte ich ein Brennen, und auf der Nackenhaut lag kalter Schweiß. Das Licht kam mir auf einmal so furchtbar grell vor, obwohl es das nicht war. Ich mußte mich damit abfinden, daß dieser verdammte Fall in ein neues Stadium getreten war und sich noch einmal aufpumpte, um mir Paroli zu bieten.
Es ging weiter.
Jetzt suchte ich einen Killer, den ich für diese Tat zur Verantwortung ziehen konnte.
Einen Killer namens Dagmar!
Ich hatte schon zahlreiche Tote gesehen, dieser Anblick aber war einer der schlimmsten. Er ging mir auch deshalb so nahe, weil ich Franca Simonis gemocht hatte. Wir waren uns irgendwo sehr ähnlich gewesen. Obwohl eingebunden in eine Organisation, konnten wir uns sehr wohl als Einzelkämpfer ansehen.
So war sie auch gestolpert. Sie hatte sich zuviel zugemutet. Ich machte mir Vorwürfe, nicht besser auf sie aufgepaßt zu haben. Obwohl es mir nicht leichtfiel, bückte ich mich, um die Leiche zu untersuchen.
Ich sah das viele Blut, auf dessen Oberfläche sich bereits eine Haut gelegt hatte. Sie schimmerte wie dunkelroter Rost. Ich sah aber auch das Gesicht, dessen Haut so bleich war wie weicher Käse, so daß die Lippen kaum auffielen.
In den eigentlich leeren Augen entdeckte ich trotzdem noch so etwas wie einen Hinweis. In ihnen stand natürlich der Schrecken, aber vermischt mit einem gewissen Staunen.
Ich konnte mir gut vorstellen, daß Franca ihren Killer noch
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