0744 - Die Verwandlung
sie mir bestimmt nicht gesagt.
Jessica Long hatte das Zimmer noch nicht wieder betreten. Sie hielt sich unten auf, was auch gut war. Wahrscheinlich würde sie versuchen, mit den Gästen zu reden, um mehr über den Fall und seine Hintergründe zu erfahren.
Im Raum schwebte noch ein Hauch ihres Parfüms, beinahe wie eine Erinnerung an schöne Urlaubstage.
Auch unser Fenster lag zur Südseite hin. Ich blickte gegen die Berge und gegen den wieder »normal« gewordenen Himmel, auf dem sich noch zahlreiche Sterne zeigten. Sie glitzerten wie ein Heer von Diamanten, die ein reicher Mann in einem Anfall von Sentimentalität kurzerhand auf der Fläche verstreut hatte.
Die Eisfläche war leer. Man hatte auch die Fackeln gelöscht. Nun schimmerte sie wie ein türkisfarbenes Viereck, als hätte sie alles in sich aufgesaugt, was einmal schlecht und negativ gewesen war.
Sogar den Rollstuhl des alten Dr. Sträter hatte man weggeschafft. Es war kaum zu fassen, daß noch vor kurzer Zeit diese unwahrscheinlichen Dinge dort unten passiert waren.
Meine Gedanken kehrten zu Elohim zurück. Mir tat der Junge sehr leid. Er schwebte zwischen den Fronten. Er wußte wahrscheinlich, wo er hingehörte. Seine Kindheit war bestimmt nicht so verlaufen, um eine normale Entwicklung zu garantieren.
Ich konnte mir sehr gut vorstellen, daß auch in seinem Innern gewisse Kräfte schlummerten, die stärker waren als die der normalen Menschen in seinem Alter.
Ich blickte auf die Uhr.
Es waren erst fünfzehn Minuten seit unserer Abmachung vergangen. Es gefiel mir nicht, noch einmal so lange zu warten. Dagmar und die anderen hatten eine große Suite bewohnt. Da waren sie unter sich, da hatten sie ihre Pläne schmieden können.
Ich wußte, wo die Räume lagen, verließ mein Zimmer und begab mich auf den Weg zur ersten Etage.
In den Fluren brannte jetzt das normale Licht. Ich hörte auch die Stimmen der Gäste aus der Tiefe.
Allmählich entwickelte sich der Betrieb in diesem Hotel wieder normal, was auch Zeit wurde. Zwei Frauen kamen mir entgegen. Sie wirkten durchgefroren und mußten zu der Gruppe gehört haben, die an der Schlittenfahrt durch die eisige Winterlandschaft teilgenommen hatten. Sie redeten darüber, lachten und hatten einen leichten Schwips.
Ich konnte ihre gute Laune und Fröhlichkeit nicht teilen, da ich das Gefühl hatte, daß diese Nacht noch nicht ihr Ende gefunden hatte. Es würde sich noch einiges ereignen, die Zeichen standen auf Sturm. Es gab einen geheimnisvollen Killer, eine Kreatur der Finsternis, die ich übersehen hatte.
Bestimmt hielt sie sich in den Fluchten des Hotels verborgen, um blitzschnell zuschlagen zu können.
Ich erreichte die erste Etage. Die Suiten des Hotels lagen natürlich an der Südseite. Einen prächtigen Ausblick und Sonne mußte man bei dem Preis schon bekommen.
Auch die Tür war größer als die meine. Ich blieb davor stehen und brauchte nicht anzuklopfen, um mich bemerkbar zu machen. In der Wand war eine Schelle eingelassen.
Als ich den Knopf drückte, vernahm ich nur schwach das Echo des Glockengeläuts im Innern. Nur passierte nichts. Es kam niemand, um zu öffnen. Das machte mich mißtrauisch.
Ich schellte kein zweitesmal, sondern versuchte es einfach und hatte Glück.
Die Tür war offen.
Stille empfing mich. Zusammen mit der Dunkelheit erzeugte sie bei mir ein ungutes Gefühl, und gleichzeitig stellten sich bei mir die Nackenhaare hoch.
Eisschauer kitzelten meinen Rücken, die Haut im Gesicht spannte sich. Ich atmete nur durch die Nase, und ein etwas anderer Geruch ließ mich schaudern.
Ich kannte ihn.
Man konnte ihn als leicht kupfern bezeichnen.
So roch Blut…
Ich machte Licht.
Es war die Sekunde des Schreckens und die des Begreifens und auch der Moment, der mir sagte, daß ich alles falsch gemacht hatte. Ich hätte sie auf keinen Fall gehen lassen dürfen, sie hätte nicht allein bleiben sollen. Sie hatte den Killer oder die Kreatur der Finsternis einfach unterschätzt.
Ich ebenfalls, wie ich leider zugeben mußte.
Dagmar lag auf der Seite. Sie hatte beim Fall noch einen Tisch zur Seite geschoben. Die Tote drehte mir den Rücken zu, ich sah das Blut trotzdem und hätte mich eigentlich nicht um sie gekümmert, wenn mir nicht noch etwas eingefallen wäre.
Etwas Schreckliches, das ich von Franca Simonis her kannte. Ich wollte die Wahrheit wissen.
Die bekam ich wie auf dem Tablett des Todes serviert. Als ich die Tote von der anderen Seite her anschaute, da erkannte ich, daß
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