0748 - Maori-Zauber
untergebracht, und dieser Flügel bot auch Huysmans eine erstaunlich bequeme Unterkunft. Denn wenn die Grafen des Esseintes auch über Generationen mit Geschmacklosigkeit geschlagen waren, so hatten sie doch einen Sinn für bürgerliche Behaglichkeit bewahrt. So war das Schloss auch innen protzig, dabei aber sehr komfortabel.
Für Huysmans waren Schloss Loup und sein Besitzer untrennbar miteinander verbunden. Der Mensch und das Bauwerk ähnelten sich in so vielen Dingen, dass Huysmans der Verdacht beschlich, es gäbe so etwas wie eine Ausstrahlung der Mauern, die die Bewohner prägten.
Florace des Esseintes war Mitte dreißig, hoch aufgeschossen, dürr, mit weißer Haut, langer, schmaler Nase und rötlichem Haar. Seine hervorstehenden Augen waren von wässrigem Blau und schienen immer entzündet zu sein. Da sich sein Haar schon deutlich gelichtet hatte, trug er es sehr kurz rasiert, sodass es nur noch ein Schatten auf seinem Schädel war.
Des Esseintes spielte den übersensiblen, dekadenten Künstlertyp. Eine Rolle, die ihm auf den Leib geschnitten war, und im Übrigen die einzige, die dieser letzte Spross eines mit ihm aussterbenden Adelsgeschlechts noch spielen konnte. Er hielt sich meist in seiner umfangreichen Privatbücherei auf und las oder schrieb Auszüge aus uralten Folianten ab. Da er nur ungern Menschen um sich hatte, nahm er die Mahlzeiten alleine ein. Trotzdem achtete er voller Eitelkeit auf eine gepflegte Erscheinung. Er kleidete sich in perfekt geschneiderte Anzüge aus bestem Stoff, die stets harmonisch mit Hemd, Weste und Krawatte abgestimmt waren.
Außer des Esseintes lebten nur noch zwei weitere Personen im Schloss. Da war zum einen das Hausmädchen, eine junge Brünette, die aus der Gegend um Marseille zu kommen schien, wenn Huysmans ihren Dialekt richtig eingeordnet hatte. Hätte der Wissenschaftler einen Sinn für weibliche Reize gehabt, dann hätte er Vivienne attraktiv gefunden. Sie hatte eine hinreißende Figur, ein freundliches Wesen und dazu eine reizende Mischung aus echter Koketterie und ebenso echter Schüchternheit.
Der Gärtner war mehr nach Huysmans Geschmack. Antun nannte sich selbst Gärtner, obwohl er auch Koch, Butler und Hausmeister in einer Person war. Er befand sich ungefähr im gleichen Alter wie der Graf. Aus einer Andeutung hatte Huysmans entnehmen können, dass Antun lange Jahre bei der Fremdenlegion gedient hatte.
Schon der erste kurze Blick auf die Sammlung hatte Huysmans überzeugt, dass diese für ihn eine Goldgrube war.
Allerdings hatte Florace des Esseintes versucht, ihn, Huysmans, hinters Licht zu führen, war aber so unvorsichtig gewesen, ihm alle Listen über die Anschaffungen seiner Sammlung zur Einsicht zu geben. Für Huysmans war es ein Leichtes festzustellen, dass es eine Reihe von Gegenständen gab, die zwar in den Listen erschienen, aber nicht in dem chaotisch vollgestopften Lager zu finden waren.
Huysmans nahm an, dass es noch eine geheime Kammer gab, in der sich jene Kunstwerke befanden, die Graf des Esseintes ihm vorenthalten wollte.
Bei diesen Gegenständen handelte es sich weder um besonders schöne oder seltene Hinterlassenschaften, wie Huysmans aus den Listen ersehen konnte. Nèin, diese Gegenstände wurden in den Listen als ehemaliger Besitz eines Zauberers, Medizinmanns oder großen Häuptlings aufgeführt. Mit anderen Worten: Diese Dinge waren kraftgeladen. Sie dienten als Speicher für gewaltige magische Energien.
Und an diese Dinge wollte Joris Huysmans herankommen. Er schnüffelte erst einmal in den Räumen der Sammlung umher. Dann besorgte er sich eine Reihe Lappen, hängte je einen aus jedem Fenster seines Schlossflügels und ging in den einsamen Park.
Von dort konnte er seine Zeichen problemlos erkennen. Nur zwei Fenster waren nicht markiert.
Huysmans merkte sich deren Position und eilte zurück ins Schloss, um seine Tücher wieder einzusammeln, bevor er nach dem Eingang zu dem verborgenen Raum suchte.
In der Theorie war nun alles sehr einfach. In der Praxis stellte es Huysmans vor fast unüberwindliche Probleme. Der Saal, in dem er den verborgenen Durchgang zu finden hoffte, war mit Sammelobjekten vollgestellt. Es war schon schwer, sich zwischen all den uralten Holzkisten, Regalen und Kartons durchzuschieben. Hatte man das geschafft, stand man vor der Schmalwand.
Das heißt, man hätte dort gestanden, wenn nicht ein halbes Kriegskanu und eine liegende, mehr als mannshohe Holzfigur den Zugang zur Wand blockiert hätten. Diese
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