0748 - Maori-Zauber
seinen Besitz zu bringen.«
»Was ist mit diesen Dingen passiert?«
»Sie sind 1846, während des ersten Aufstands gegen die Missionare, verschwunden. Man nimmt an, dass die Weißen sie vernichtet haben.«
In diesem Augenblick sprach die computergesteuerte Visofon-Anlage an, die als normales und als Bildtelefon funktionierte und so auch alle bewohnten Räume des Châteaus miteinander verband. Zusätzlich erlaubte sie über eine Tastatur Zugriff auf die Computeranlage. Das Telefon ließ sich per Tastatur und per Spracheingäbe bedienen.
Zamorra nahm das Gespräch entgegen.
Der Monitor blieb dunkel, weil der Anrufer selbst nur über ein normales Telefon verfügte. Der Professor meldete sich und lauschte der antwortenden Stimme. Er drehte sein Gesicht Nicole zu, und seine Lippen formten lautlos einen Namen.
»Schau an«, murmelte Nicole, »wenn man vom Teufel spricht.« Und laut sagte sie: »Grüße an Huysmans!«
»Hast du gehört?«, fragte Zamorra, und sein Gesprächspartner bejahte.
»Erzähl, wie ist die Lage?«, wollte Zamorra Joris Huysmans ausforschen.
»Alles bestens«, kam die muntere Stimme des Belgiers aus dem Hörer. »Ich habe einen Vertrag für drei Jahre plus Option auf unbefristete Verlängerung und werde im Jahr mehr verdienen, als würde ich die nächsten dreißig Jahre lang an der Sorbonne lehren. Insofern geht es mir glänzend. Andererseits… Du müsstest dir dieses Chaos mal anschauen. Zimmer auf Zimmer voller Maori-Kram. Dieses Adelsgeschlecht hat seit Jahrhunderten gesammelt, ohne sich jemals über Wert und Bedeutung ihrer Sammelobjekte Gedanken zu machen. Hier sieht es aus wie auf einem Flohmarkt - einfach unglaublich. Bis ich den ganzen Wust durchgesehen habe, werde ich schon anderthalb Jahre beschäftigt sein.«
»Was soll mit der Sammlung geschehen?«
»Das Fernziel ist eine ständige Ausstellung. Aber dafür muss eben Vorarbeit geleistet werden.«
»Joris, dafür bist du der richtige Mann. Mmmh, noch eine Frage: Ist dir vielleicht schon irgendetwas aufgefallen, das - na ja, so eine Art magischer Sondermüll sein könnte?«
»Danach habe ich natürlich zu allererst gesucht«, antwortete Joris Huysmans munter. »Schließlich hast du mich ja zur Genüge in Angst und Schrecken versetzt. Aber ich kann dir versichern, du findest hier Maori-Töpfe, Maori-Bootssteven, Maori-Paddel und Maori-Klopapierhalter. Aber selbst wenn man all den Kitsch weglässt, der nur als Nepp für die Touristen geschnitzt wurde, dann findest du nichts als braves Kunsthandwerk. Tatsache ist, dass die Maori ihre wirklichen Tabu-Gegenstände gar nicht aus der Hand geben.«
»Ist irgendwie beruhigend«, sagte Zamorra.
Kurze Zeit später verabschiedeten sich die beiden, und Zamorra legte auf.
***
Joris Huysmans war froh, dass er sich nicht per Bildtelefon mit Zamorra hatte unterhalten müssen. Es war schon schwer genug, am normalen Telefon zu lügen. Wenn einem dabei aber der Gesprächspartner sozusagen in die Augen schaute…
Er zuckte die Achseln, legte den Hörer auf und blickte sich vorsichtig um. Diese verstohlene und etwas hinterhältige Art des Umschauens und Witterns hatte er sich schon in den wenigen Tagen angewöhnt, die er bislang auf Schloss Loup verbracht hatte.
Der Grund dafür lag nicht nur in dem doppelten Spiel, das Joris Huysmans trieb. Diese Verhaltensweise wurde auch von der Umgebung geprägt, und sowohl das Schloss als auch seine Bewohner drängten jeden Besucher geradezu zwangsläufig zu misstrauischer und berechnender Zurückhaltung.
Das Schloss selbst war ebenso alt wie scheußlich. Selbst das hohe Alter hatte nicht ausgereicht, um dieses Gemäuer in den Adelsstand eines französischen Kulturerbes zu erheben. Wer allerdings bestrebt war, eine Geschichte architektonischer Geschmacksverirrungen zu schreiben, fand hier ein unübertreffliches Studienobjekt. Angefangen von schlampig ausgeführter Gotik, über falsch verstandene Renaissance, übertriebenen Barock, verzärteltes Rokoko, großtuerisches Empire bis zu den Sünden des Historismus - keine Stilepoche war an diesem Schloss vorbeigezogen, ohne einen weiteren Makel zu hinterlassen. Da Schloss Loup an sich nicht besonders groß war, konnte man mit einem Blick überschauen, was unbegabte Architekten und geschmacklose Bauherren angerichtet hatten.
Es gab drei Flügel, die sich um einen zum Park hin offenen Hof gruppierten. In dem einen residierte der Besitzer, im mittleren wohnte das Personal, im letzten war die Sammlung
Weitere Kostenlose Bücher