075 - Die Schöne und der Höllenwolf
Sharon betrunken? Um diese Zeit schon? Er roch keinen Alkohol in ihrem Atem.
Es donnerte wieder. »Unheimlich, was?« sagte das Mädchen. Ihre Augen funkelten vor Begeisterung. »Dieses Gewitter erinnert mich an schaurige Gruselfilme. Die Welt schlüpft in ein düsteres Kleid, das von Blitzen immer wieder aufgerissen wird. Und Donner krachen wie die Faustschläge des Teufels. Es ist die Atmosphäre, die die Angst und das Böse gedeihen läßt.«
»Sharon, was redest du denn da für einen Unsinn?« fragte Taylor heiser. Er war von den Worten des Mädchens unangenehm berührt.
Sie lachte verhalten. »Hast du Angst, John?«
»N-nein. Wer fürchtet sich denn schon vor einem Gewitter?«
»Oh, viele Mädchen tun das.«
»Bin ich ein Mädchen?«
»Nein, du bist ein Mann, John Taylor. Der Mann, mit dem ich ein großartiges Fest feiern werde.«
»Ein Fest? Es gibt doch gar nichts zu feiern.«
»O doch, mein Lieber. Ich sagte vorhin, es gebe eine einfache Lösung für alle deine Probleme. Ein Zauberwort, gewissermaßen. Es heißt Xarr.«
Er wußte nichts mit diesem unbekannten Wort anzufangen.
»Xarr wird bei uns sein, wenn wir das Fest feiern«, sagte Sharon. »Er wird dem Fest einen würdigen Rahmen verleihen.«
Taylor kam ein Verdacht. War Sharon gar nicht so uneigennützig und hilfsbereit, wie er geglaubt hatte? Gab es einen Kunden, der nicht ganz richtig tickte? Brauchte sie ihn, um mit ihrem Freier dieses »Fest« feiern zu können? Er war nicht prüde, und Sharon konnte viel von ihm verlangen, aber das nicht.
»Sharon, was ist los?« fragte er ärgerlich. »Willst du nicht endlich deutlich werden? Ich verstehe kein Wort. Was ist das für ein Fest, von dem du fortwährend faselst?«
Ihre Antwort ließ ihn keine Sekunde länger daran zweifeln, daß sie verrückt war. Er war schwer enttäuscht. Seine ganze Hoffnung hatte er an Sharon gehängt, doch nun mußte er erkennen, daß seine Pechsträhne ganz und gar nicht zu Ende war. Von Sharon konnte er keine Hilfe erwarten. Dieses Mädchen war wahnsinnig.
Sie sagte: »Es ist ein Blutfest, John! Eine Blutorgie! Wir werden uns daran berauschen!«
»Ich bestimmt nicht«, sagte Taylor, dem das kalte Glitzern ihrer Augen nicht gefiel.
»Wer spricht von dir?« gab das Mädchen eisig zurück.
Im selben Moment öffnete sich die Schlafzimmertür, und ein Mann trat heraus.
Also doch! dachte John Taylor wütend. Was bin ich nur für ein Idiot!
»Sind Sie Xarr?« fragte er den Mann.
»In gewisser Weise.«
»Ja, John. Er ist Xarr. Und ich bin es auch!« stieß das Mädchen leidenschaftlich hervor. »Und auch du wirst schon bald Xarr sein.«
***
Ich informierte zuerst Cruv, denn ich wußte, daß der Gnom auf glühenden Kohlen saß. Da Tuvvana den Fall ins Rollen gebracht hatte, hatten die beiden ein Recht, zu erfahren, wie weit die Ermittlungen inzwischen gediehen waren.
Der Knirps sagte, ich könnte jederzeit mit seiner Hilfe rechnen. Ich brauche nur ein Wort zu sagen. Ich hätte ihn glücklich gemacht, wenn ich geantwortet hätte, ohne ihn ginge es nicht mehr, aber ich hatte zur Zeit wirklich keine Verwendung für ihn.
Es gehörte viel diplomatisches Geschick dazu, ihm das so beizubringen, daß er weder enttäuscht noch beleidigt war. Ich schob Tuvvana vor, denn sie war sein schwacher Punkt.
Es genügte die Bemerkung, daß es meiner Ansicht nach besser war, wenn er sich um seine Freundin kümmerte. Sofort sagte er: »Ja, Tony. Ich glaube, du hast recht. Aber solltest du allein nicht mehr zurechtkommen, scheue dich nicht, es mich wissen zu lassen.«
»Mach dir um mich keine Sorgen«, erwiderte ich. »Es ist ja auch noch Roxane da, die mich unterstützen kann.«
»Ruf an, sobald sich etwas Neues ergibt. Tuvvana und ich nehmen regen Anteil an diesem Fall, wie du dir vorstellen kannst. Schließlich geht es um Xarr, mit dem uns einige unerfreuliche Erlebnisse verbinden.«
Ich beendete das Gespräch.
Der Regen trommelte auf das Dach meines Rovers, und die Scheibenwischer hatten Mühe, die Wassermassen von der Windschutzscheibe zu fegen.
Das Gewitter, das ziemlich überraschend über London hergefallen war, schien sämtliche Fußgänger in die Gullys geschwemmt zu haben.
Es waren nur noch Autos auf der Straße. Sie fuhren mit eingeschalteten Scheinwerfern, denn der Tag hatte sich in ein tief dunkles Grau verwandelt, und die Sicht war denkbar schlecht.
Als ich gleich darauf mit Roxane telefonierte, wollte sie nicht, daß ich mich allein zu Sharon Griffith begab.
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