0754 - Der Zeitsauger

als sie niederschrieb, was sie Zamorra eigentlich hatte sagen wollen.
    »Ich habe noch etwas herausgefunden. Es hat mir zu denken gegeben, dass die erhöhte Anzahl von Toten hohen Alters in Manchester erst letztes Jahr begonnen haben. Ich habe mich gefragt, ob der Täter erst seit ein paar Monaten aktiv ist, oder ob er sich vorher einfach irgendwo anders aufgehalten hat. Also habe ich die Vermisstenzahlen landesweit untersucht, und dabei kam heraus, dass es in London eine ähnliche Welle von vermissten Personen gab. Und die hat genau zu der Zeit ihr Ende gefunden, in der die Welle von vermissten Personen in Manchester losgeht. Wie's aussieht, ist unser Freund schon etwas länger dabei, als es zuerst den Eindruck gemacht hat. Ich hoffe, bei dir ist alles in Ordnung. Ruf mich zurück. Ich habe da noch ein paar Theorien, die ich erst noch überprüfen muss, aber ich glaube, ich verstehe allmählich, womit wir es hier zu tun haben.«
    Schließlich faxte sie den Text raus zum Hotel und wandte sich einer Karte Englands zu, auf der sie diverse Linien in verschiedenen Farben eingezeichnet hatte. Eine davon führte von London nach Manchester. Eine andere von Liverpool nach London.
    Ausgehend von den Berichten über Anhäufungen von plötzlich verschwundenen jungen Frauen hatte sie versucht, die Bewegungen des Mörders von Stadt zu Stadt nachzuvollziehen. Die Linien hatte sie mit unterschiedlich farbigen Stiften gezeichnet, um sie besser auseinander halten zu können.
    Das Problem war nur…
    Ihr gingen allmählich die Farben aus.
    Wenn sie Recht haben sollte, zog dieser Mann schon seit Jahrzehnten eine Spur von Leichen kreuz und quer durch Großbritannien.
    ***
    Kathys Büro war klein und zweckmäßig. Ein Schreibtisch mit einem Computer, hinter dem Kathy jetzt saß, und ein Stuhl für Besucher.
    Hier hatte John Wilde Platz genommen. Professor Zamorra lehnte an der Wand neben dem kleinen Fenster.
    Kathy beobachtete Wilde mit den skeptischen Augen einer Polizistin, für die jeder Informant zunächst einmal unzuverlässig war, ein möglicher Wichtigtuer, der die Zeit der Polizei eher verschwendet, als wichtige Informationen zu liefern.
    »Also, Mister Wilde«, sagte sie, »dann fangen Sie mal ganz von vorne an«.
    Wilde holte tief Luft und begann seinen Bericht.
    »Ich bin Privatdetektiv«, sagte er, »und arbeite schon seit einigen Jahren an einem Fall, in dem es um eine vermisste Person geht. Vor genau sechs Jahren verschwand in Liverpool eine junge Frau spurlos. Ihre Eltern sind sich sicher, dass sie nicht freiwillig fortgegangen ist. Im Gegenteil, sie sind felsenfest davon überzeugt, dass sie entführt wurde. Als die Polizei nach einigen Wochen immer noch keinen Erfolg bei ihren Nachforschungen hatte, engagierten sie mich, um der Sache nachzugehen.« Er zuckte mit den Schultern. »Meine Bemühungen waren zunächst ebenso erfolglos. Sie war von einem Tag auf den anderen verschwunden. Einfach weg. Aber meine Auftraggeber - die Eltern des Mädchens - sind sehr wohlhabend. Sie konnten es sich leisten, mich dafür zu bezahlen, dass ich weiter nach Spuren suchte. Zur Not sogar jahrelang. Da sich keine Hinweise fanden, habe ich mich nach einigen Wochen schließlich darauf verlegt, ähnliche Fälle zu beobachten. In Liverpool sind um diese Zeit herum auffällig viele Frauen in ähnlichem Alter verschwunden, die gewisse Merkmale mit der Tochter meiner Klienten gemein hatten.«
    Zamorra lehnte sich vor. »Welche Merkmale zum Beispiel?«
    »Nun, neben des Alters waren in erster Linie alle der verschwundenen Frauen attraktiv und stammten aus höheren gesellschaftlichen Kreisen.«
    Kathy nickte und sah Zamorra an. »Das würde zu unserem Mann passen.«
    »Also untersuchte ich diese anderen Fälle«, fuhr Wilde fort. »Ich hoffte darauf, irgendwann einen Zeugen zu finden, der die Entführung eines der Opfer beobachtet hat. Meiner Ansicht nach war das die einzige Hoffnung, den Täter irgendwann aufzuspüren. Aber wenn es einen Entführer gab, der für all diese Verbrechen verantwortlich war, war er einfach zu vorsichtig. Er wurde nie beobachtet, er hinterließ nie Fingerabdrücke, keine Spuren irgendwelcher Art. Nach einigen Monaten riss die Serie von verschwundenen Frauen in Liverpool ab. Ich dachte schon, er hätte einfach aufgehört.« Wilde zuckte wieder mit den Schultern. »Ich war schon so weit, die Sache aufzugeben und meinen Klienten zu sagen, dass ich nichts mehr für sie tun kann. Bis ich die Zeitungen durchforstete und