0756 - Tod über der Tunguska
bevorzugt Lumpenkleidung!«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich bin kein Anarchist, und ich habe nichts Gesetzwidriges getan.«
»Das wird sich zeigen«, sagte Hauptmann Koljew. »Was ist das Ziel deiner Reise?«
»Die Tunguska-Region«, erwiderte Zamorra wahrheitsgemäß.
»Die Tunguska-Region, soso. Aber dort gibt es doch nur Fichten, Lärchen, Zobel und Füchse. Oder willst du jetzt auch bei Bäumen und Tieren Propaganda für deine gotteslästerliche Lehre machen?«
»Ich reise wirklich in die Tunguska-Region, weil mich die Natur interessiert«, sagte Zamorra.
Und in gewisser Weise stimmte das sogar. Die Natur des Explosionsgebietes war selbst noch im Jahre 2003 der beste Zeuge für die Katastrophe, die sich im Jahr 1908 hier zugetragen hatte. Wissenschaftler hatten den, Bäumen Proben entnommen, die immer noch auf einen radioaktiven Niederschlag damals schließen ließen. Und in der Tierwelt hatte es durch die Strahlung aus dem Weltraum Mutationen gegeben…
»Sehr überzeugend!« Koljews Stimme triefte vor Ironie. »Und warum reist der hohe Herr Professor in der dritten Klasse, in der Holzklasse, hierher? Und das, obwohl er eigentlich eine Fahrkarte 1. Klasse bei sich hat?«
Zamorra schwieg. Seine wahren Beweggründe würde Koljew ohnehin nicht verstehen. Sollte er diesem Geheimdienst-Schnurrbart vielleicht erzählen, dass er aus der Zukunft kam, um das Ende der Welt zu verhindern?
Koljew wertete das Schweigen des Dämonenjägers offenbar als Teilgeständnis.
»Da fällt dir keine Ausrede mehr ein, was? Ich will dir sagen, was du in der dritten Klasse getan hast, Zamorra. Du wolltest das einfache Volk gegen unseren geliebten Zaren aufhetzen. Und mir wird nun auch klar, was du in der Tunguska zu suchen hast. Du wolltest dort den Weg ebnen, für deine sauberen Freunde. Für die Japaner!«
»Für die Japaner?«, wiederholte Zamorra irritiert. Diese Anschuldigung kam ihm reichlich irrsinnig vor. Aber dann erinnerte er sich daran, dass er sich im Jahre 1908 befand. Wenige Jahre zuvor, 1904, hatte das riesige russische Zarenreich eine demütigende militärische Niederlage gegen das winzige fernöstliche Inselreich Japan erlitten.
Und dieser Ochrana-Agent Koljew erblickte nun offenbar überall Japaner. Wie so viele Geheimdienstler zimmerte er sich seine Wirklichkeit selbst zurecht. Das hatte Zamorra schon oft genug erleben müssen oder zumindest davon gehört und gelesen.
So entsann er sich, daß in den USA lebende Japaner im 2. Weltkrieg kollektiv inhaftiert worden waren, weil Uncle Sam nach dem Pearl-Harbour-Überfall auch in ihnen eine Bedrohung sah. Und niemand fragte danach, auf welcher Seite die längst eingebürgerten Ex-Japaner wirklich standen. Später, als der Krieg vorbei war, begann dann in der so genannten ›McCarthy-Ära‹ die Jagd auf die Kommunisten…
Paranoia und die Sucht nach Feindbildern schien zu allen Zeiten ein typisches Krankheitsbild bei Geheimdiensten und Regierungen zu sein.
»Wo bin ich hier eigentlich?«, fragte der Dämonenjäger, um Zeit zu gewinnen. Ihn hätte auch brennend interessiert, ob seine Gefährtin ebenfalls in die Fänge des Geheimdienstes geraten war. Aber er würde nicht den Fehler begehen, sich nach ihr zu erkundigen. Nicole Duval war intelligent und mutig. Wenn sie rechtzeitig mitgekriegt hatte, dass Zamorra verhaftet worden war, dann würde sie ihn hier heraushauen. Da war sich der Dämonenjäger sicher.
»Im Ochrana-Bezirksgebäude von Irkutsk«, erwiderte Hauptmann Koljew bereitwillig. »Und in die Tunguska-Region wirst du wirklich gelangen, Zamorra. Wenn auch in Ketten…«
Der Dämonenjäger warf dem Geheimagenten einen fragenden Blick zu.
»Ja, du hast richtig gehört. Ich habe nach Moskau telegrafiert, um die Befehlshaber von unserem großen Fang in Kenntnis zu setzen. General Wassumulow will dich persönlich verhören. Aber er kann erst in einigen Tagen kommen. Bis dahin soll ich dich in die Tunguska-Region schaffen. Ins Straflager 252, genauer gesagt. Dort bringt man solchem Pack wie deinesgleichen die Flötentöne bei!«
Wenigstens komme ich auf diese Weise noch an mein Reiseziel, dachte Zamorra mit bitterem Humor.
***
Das böse Bewusstsein kam näher.
Es reiste durch die Unendlichkeit des Universums, um Tod und Zerstörung zu bringen. Es war älter als die Zeit, aber genauso widersprüchlich und unbezwingbar.
Das böse Bewusstsein war ein Planetoid. So jedenfalls würden die Bewohner jenes Blauen Planeten es nennen. Jenes Planeten,
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