0758 - Die Katzenfrau
habe.«
Sir James schüttelte den Kopf.
»Gut, dann weiter. Ich habe mich stark gezeigt, ich habe kaum über meine Tochter gesprochen, ich habe überhaupt nicht reagiert wie eine Mutter, und Sie haben das einfach nicht akzeptieren können, weil es nicht in Ihr Denkmodell hineinpaßt. Ich habe hier mit meiner Tochter gelebt. Ginger ist ohne Vater aufgewachsen, ich habe mir auch nie einen zweiten Mann gesucht, nachdem der andere starb. Wir bildeten eine Gemeinschaft, wir und die Katzen. Irgendwann war Ginger alt genug, um sich von mir zu trennen, innerlich, meine ich. Sie hatte neue Freunde gefunden, die einem ungewöhnlichen Hobby frönten. Sie nannten sich Fantasy-Fans, sie lebten in ihrer eigenen Welt, sie trafen sich, und sie führten dabei ungewöhnliche Spiele auf. Ritterspiele und Geschichten aus anderen Welten, die sie in ihrer Phantasie zusammengebastelt hatten. Ich habe Ginger gewarnt, sich mit diesen Leuten abzugeben. Sie hat nicht gehört, sie ging immer wieder hin, das ist mir beileibe nicht entgangen. Gleichzeitig entfremdete sie sich von mir und unseren Tieren. Ich merkte dies, ich sprach sie des öfteren darauf an, aber sie wollte nicht hören. Ich wußte, daß dieses neue Leben, das sie begonnen hatte, einfach nicht gutgehen konnte, aber wer hört schon, wenn er die Zwanzig überschritten hat, auf seine Mutter. Ich war damals anders, doch die Zeiten haben sich gewandelt. Ich möchte Sie nicht mit Einzelheiten aus unserem Zusammenleben hier langweilen, aber ich muß Ihnen klipp und klar sagen, daß ich so etwas habe kommen sehen. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Ich war nicht einmal sehr überrascht, als ich von ihrem Tod erfuhr und wunderte mich kaum darüber, wie Ginger gestorben war. Sie hat den Fehler begangen und nicht auf mich gehört, dafür mußte sie büßen.«
Sir James schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht nachvollziehen, Mrs. Mitchell.«
»Haben Sie selbst Kinder?«
»Nein.«
»Dann sollten Sie vorsichtig sein.«
»Das werde ich auch. Nur meine ich, daß es doch eigentlich normal ist, wenn sich ein Kind von seinem Elternhaus, in diesem Fall von seiner Mutter, löst.«
»Nicht bei mir.«
»Dann sind Sie sehr egoistisch gewesen.«
»Das stimmt nicht. Ich war nur besorgt.« Wieder sprach Sir James dagegen. »Die Meinung mag für Sie zwar richtig sein, doch nicht für Ihre Tochter.«
»Sie hätte sich nur fügen müssen, dann wäre sie jetzt noch am Leben.«
Sir James schüttelte den Kopf. »Sie war erwachsen, sie war kein Kind mehr, sie hat ihren eigenen Weg gesucht und gefunden. Daraus können Sie Ihr keinen Vorwurf machen.«
»Ich habe das anders gesehen, und es war meine Tochter, um die es ging, nicht die Ihre. Sie haben Sie erschossen, und Sie haben mir damit mein Kind genommen.«
Sir James war froh, daß diese Frau endlich aus sich herauskam, nichts anderes hatte er gewollt. »Es tut mir leid. Noch vor einer Viertelstunde hätte ich Ihnen zugestimmt, nach unserem letzten Gespräch allerdings kann ich es nicht mehr. Es tut mir leid, ich bin nicht derjenige, der da noch schweigt.«
»Was meinen Sie genau damit, Sir?«
»Sie, Mrs. Mitchell, tragen auch einen Teil der Schuld am Tod Ihrer Tochter. Sie hätten Sie anders behandeln sollen, aber ich bin nicht Ihr Ehemann, ich bin auch kein Richter. Ich wollte Ihnen nur noch einmal sagen, wie leid es mir tut, und auch nach unserem Gespräch sind meine Vorwürfe, die ich mir mache, nicht weniger geworden. Ich hoffe, Sie nehmen mich und meine Entschuldigung ernst, Mrs. Mitchell.«
Sie sagte nichts. Der Kater schnurrte. Auch jetzt fuhr ihre schlanke Hand noch über den Rücken. Im Gegensatz zu dem schwarzen Fell des Tieres sahen ihre Finger lang und bleich aus, beinahe wie die Hände einer Leiche. Das Gesicht hatte sich etwas verzogen. Es war leicht angespannt, so daß wieder der katzenhafte Ausdruck darin zu sehen war. Auch die Augen bildeten halbmondförmige, kleine Schlitze.
Sir James wollte nicht unhöflich sein und leerte den letzten Rest der Bowle aus seinem Glas. Dann traf er Anstalten, sich zu erheben, und als er stand, spürte er, daß er noch immer in Schweiß gebadet war. Die Kleidung klebte förmlich an seinem Körper fest. Von den Beinen konnte er den inneren Hosenstoff abziehen.
Rena Mitchell blieb sitzen. Schräg schaute sie zu ihm hoch. »Haben Sie noch etwas auf dem Herzen, Sir James?«
Er nickte. »In der Tat, Mrs. Mitchell. Ich wäre sehr gern zur Beerdigung Ihrer Tochter mitgegangen. Wann ist es
Weitere Kostenlose Bücher