0758 - Mörder aus der Spiegelwelt
plötzliche Übermacht der schwarzen Seite in diesem Spiel bewirken. Und um dies zu verhindern, würden Zamorra und seine Freunde sich notfalls selbst dem Gesetz entziehen, sich gegen die Staatsgewalt stellen.
Diesen Aspekt hatte der Chefinspektor noch nie bedacht, denn es hatte ja auch nie einen triftigen Grund dazu gegeben.
»Erschossen auf der Flucht, käme meinem Spiegelwelt-Zwilling sicher sehr entgegen.« In Zamorras Gesicht stand so etwas wie Ratlosigkeit. »Deine Experten werden dir schon bald melden, dass überall im Laden und auch auf dem Mordwerkzeug meine Fingerabdrücke gefunden wurden. Auch die sind nämlich absolut identisch bei den Zwillingspersonen beider Welten. Und nun sag du mir, wie wir da wieder herauskommen sollen.«
Pierre Robin fühlte, wie der hässliche Zahnschmerz mit Macht zurückkam. Das Dröhnen im Kopf meldete sich ebenfalls wieder. Gerade jetzt, wo er dazu aufgefordert wurde, mal eben so einen Gordischen Knoten zu lösen.
Er musste den beiden irgendwie helfen - wenn er ihnen diese verrückte Geschichte denn abkaufte.
Und da war er sich selbst noch nicht so ganz sicher…
***
Galyna Delettré irrte seit Stunden durch Lyon.
Es war beim besten Willen nicht zu übersehen, dass die Frau völlig verwirrt und ohne Orientierung war. So kam es auch, dass sie mehrfach von freundlichen Passanten angesprochen wurde, die ihr Hilfe anboten, doch Galyna lehnte nur mit einem hilflosen Lächeln ab und setzte ihren Weg fort, einen Weg, der völlig dem Zufall überlassen schien.
Sie hatte kein Ziel.
Immer wieder drehte sie sich plötzlich in einer hektischen Bewegung um und suchte mit den Augen die Menschenmenge ab, die hinter ihr durch Lyons Straßen lief.
Gesichter… Galyna Delettré suchte zwei bestimmte Gesichter, deren Züge sich unauslöschbar in ihr Gehirn gebrannt hatten. Ein Mann und eine Frau, beide äußerst attraktiv und dennoch von für Galyna unvorstellbarer Hässlichkeit durchzogen. Der Hässlichkeit von eiskalten Mördern.
Mit ihren knapp unter vierzig Jahren hatte Galyna immer gedacht, schon so ziemlich alles erlebt zu haben. Was sollte da wohl noch kommen, das sie aus der Bahn werfen könnte? Zwei Scheidungen hatte sie hinter sich gebracht. Beide waren nicht eben freundlich und friedlich über die Bühne gegangen. Nun lebte sie seit drei Jahren alleine und fühlte sich eigentlich wohl dabei. Hier in Lyon ließ es sich wunderbar aushalten.
Doch in den letzten Wochen und Monaten war der Wunsch nach einer neuen Beziehung größer geworden, als sie es sich hatte eingestehen wollen. Mehr und mehr kroch sie an den Abenden aus ihrer Höhle, wie sie ihr Appartement getauft hatte. Lyon hatte eine Menge an Nachtleben zu bieten. Finanzielle Nöte kannte Galyna nach ihrer zweiten Scheidung nicht mehr, denn ihr ehemaliger Mann war äußerst vermögend und musste ihr - wohl oder übel - ein sorgenfreies Leben ermöglichen.
Plötzlich hatte sie auch wieder damit begonnen sich für Mode zu interessieren, denn in ihrem Alter spielten Äußerlichkeiten eine große Rolle - das war nun einmal eine Tatsache. Und eine der ersten Adressen in Sachen Haute Couture war in dieser Stadt nun einmal das Donna M.
Jetzt wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass sie gerade am heutigen Vormittag besser in ihrer Höhle geblieben und nicht in die exklusive Boutique gegangen wäre. Denn was sie dort mitangesehen hatte, würde sich nie wieder aus ihrer Erinnerung tilgen lassen. Galyna Delettré hatte Angst, denn die Mörder von Marie Voloh würden sie suchen. Sie mussten sie einfach suchen, denn sie war die einzige Augenzeugin.
Erneut stoppte sie ihren Gang und drehte sich auf den Absätzen herum. Doch die Gesichter des Mörderpärchens tauchten nirgendwo auf.
Etwas anderes schockierte Galyna: Es war bereits das vierte Mal, dass ihre Füße sie zurück zum Donna M getragen hatten! Sie lief wirr durch die Straßen, doch am Ende landete sie immer wieder- hier.
Du drehst durch! Mein Gott, du musst doch zur Polizei gehen. Man braucht dich als Zeugin!
Polizei - Galyna Delettré sah sich Hilfe suchend um, als wäre sie zum ersten Mal in der Stadt, in der sie doch schon so lange lebte. Reiß dich zusammen. Das Präsidium ist nicht weit von hier…
Mit aller Konzentration, zu der sie momentan überhaupt fähig war, schlug Galyna den richtigen Weg ein.
Dort würde man sie beschützen. Wenn die Mörder nicht doch vorher zuschlugen…
***
Der Anblick des Polizeipräsidiums entlockte Galyna Delettré einen
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