0764 - Zeit der Grausamen
möglich und sogar wahrscheinlich, daß sich in dieser Klinik, die offiziell geschlossen wurde - dafür haben auch die Strohmänner gesorgt -, noch alte Agenten des ehemaligen KGB aufhalten. Ich sollte sie auch davon überzeugen, daß sie hier alles aufgeben.«
»Hast du das geschafft?«
Golenkow schüttelte den Kopf. »Bis jetzt habe ich keinen gesehen. Ich kenne auch keine anderen Anlaufstellen. Ich war kurz vor euch da und hatte natürlich den passenden Schlüssel, um völlig normal die Klinik betreten zu können. Ich habe auch nicht gewußt, daß sich der Fall so entwickeln würde und bin heilfroh darüber, daß ich mich eurem Chef, Sir James, anvertraut habe.«
Ich lächelte dünn. »Das war auch für uns eine Überraschung. Und wir sind froh darüber, daß wir einige Dinge zurechtgerückt haben.«
»Bringen die euch denn weiter?« fragte Wladimir.
»Nein«, gab ich zu, »aber es ist jetzt sicher, daß sich noch einige der alten Agenten hier aufhalten. Oder zumindest in der Nähe sind, denn wir stolperten ja über den Toten.«
Golenkow nickte. »Und ich habe keinen gesehen.«
»Wo hast du dich denn umgeschaut?«
»Nur oben.«
»Da bleibt uns noch viel zu tun«, sagte Suko. »Mal was anderes. Hast du eventuell einen Plan der Klinik vorliegen?«
Der Russe lächelte. »Und ob ich den habe. An so etwas denkt man immer.« Er griff in die linke Jackettasche und holte ihn hervor. Da wir schwiegen, hörte sich das Knistern des Papiers in der Stille besonders laut an, als er den Plan ausbreitete.
Ich schaute mich um. Es war draußen warm, hier nicht so sehr, sondern nur stickig und schwül. Die Halle war ziemlich geräumig, es gab einige düstere Ecken, und ich hatte den Eindruck, als hätte sich dort sogar der Blutgeruch der Leiche festgesetzt. Dort wo die letzte Stufe der Treppe verschwand, sah ich einen blassen Schimmer. Dort fiel das Licht wie ein Schleier durch das Fenster und breitete sich auf dem Boden aus, wobei unzählige Staubteilchen im Lichtschein tanzten.
Ich wandte mich wieder den beiden anderen zu, die bereits gebeugt auf die Karte schauten. Sie nahm die Größe des Tisches ein. Detailgetreu und auch maßstabgerecht war dort alles eingezeichnet worden. »Ich denke, wir können die oberen Etagen vergessen«, sagte Wladimir. »Wichtiger ist der Keller.«
»Nimmst du das nur an…?«
»Nein.« Er deutete auf einen dicken Tuschstrich. Er wirkte wie eine Trennungslinie. Jenseits davon waren die Räume nur angedeutet worden. Rechtecke, in die schräge Linien hineinschraffiert waren.
»Was bedeutet das?« fragte ich.
Wladimir hob die Schultern. »Was ich dir jetzt sage, klingt zwar etwas märchenhaft, du solltest es trotzdem akzeptieren. Das sind sie Geheimräume der Klinik.«
»Was heißt das genau?«
»Daß sie kein Patient betreten durfte. Bei Androhung von Strafe nicht.«
»Daran hat man sich gehalten?«
»Weiß ich nicht, Suko, kann ich nicht sagen. Aber die Räume waren sehr wichtig für die Organisation. Denn dort konnten sie die Agenten verstecken und ihnen die letzten Instruktionen geben. Könnte es denn idealer gelaufen sein?«
»Das wohl nicht.«
Ich hatte gesprochen, und Wladimir lächelte. Er deutete noch einmal auf das Schraffierte. »Ja, das werde ich dann genauer unter die Lupe nehmen, John.«
»Nein, wir werden es.«
»Auch gut.«
»Und wir rechnen damit, daß wir dort unsere Freundin Helen Kern finden.«
»Fragt sich nur, mit wem zusammen. Denn ich rechne damit, daß sich dort noch immer Agenten des ehemaligen KGB aufhalten. Dieses Gefühl werde ich einfach nicht los.«
»Warum nicht?« fragte ich.
»Ganz einfach, John. Weil nicht alle Schiffe wieder in ihre Heimathäfen zurückgelaufen sind.«
Ich mußte lächeln, als ich das hörte. Im Prinzip hatte er recht. Es waren bestimmt noch mehr Agenten zurückgeblieben, denn einen hatten wir ja als Toten erlebt. »Nur wird Helen keine Rücksicht mehr nehmen«, warnte ich. »Wir müssen damit rechnen, auf weitere Leichen zu stoßen. Mögen die Leute auch noch so gut ausgebildet sein, ich glaube kaum, daß sie gegen dieses mordgierige Wesen ankommen.«
»Das ist zu befürchten«, murmelte der Russe.
»Kennst du denn die genaue Zahl der hier noch verbliebenen Leute?« wollte Suko wissen.
»Nein.«
»Dann schätz mal.«
Er hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Man konnte mich da nicht informieren. Den damaligen Einsatzleiter gibt es offiziell nicht mehr. Keiner weiß, was mit ihm geschehen ist. Man spricht davon, daß
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