0764 - Zeit der Grausamen
geführt, durch die sie die unheimliche Folterkammer verließ.
Helen konnte kaum nachdenken. Als sie wieder einigermaßen zu sich kam, fand sie sich nicht im Kellerflur wieder, sondern schon vor ihrer Zimmertür. Ihre Hand lag bereits auf der Klinke. Die Frau betrat das Zimmer und drückte die Tür hinter sich zu.
Ihre kleine, heimelige Welt hatte sie wieder. Sogar das Licht brannte noch. Der Schein fiel über einen leeren Sessel, und Helen überlegte, ob sie es tatsächlich beim Einschlafen hatte brennen lassen. Sie konnte sich nicht daran erinnern.
Das machte nichts.
Laut gähnend setzte sich die Frau auf die Bettkante, bevor sie sich langsam zurückgleiten ließ. Als der Hinterkopf das Kissen berührte, war es so wunderbar weich, und sie hatte das Gefühl, tief in eine andere Welt einzutauchen.
Tief atmete sie durch.
Noch lange blieben ihre Augen offen. Helen schaute gegen die sich über ihr abzeichnende Decke, als könnte sie dort die Lösung ihrer Probleme erkennen.
Aber welche Lösung? Für welche Probleme?
Sie hatte keine, sie fühlte sich sogar wohl. Wie nach einem tiefen Schlaf erquickt.
Aber etwas war geschehen. Sie dachte darüber nach. Hatte sie einen bösen Traum erlebt? Nein, dann wäre sie jetzt nicht so ruhig gewesen und hätte darüber nachgedacht.
Was also lag hinter ihr?
Soviel stand fest: Es war kein erquickender Schlaf gewesen, auch wenn es ihr gutging. Ihr Leben hatte sich verändert. Etwas Entscheidendes war geschehen, über das sie nicht hinwegkam und das tief in ihrer Erinnerung vergraben war.
Sie schluckte. Wieder spürte sie den kalten Schweiß auf ihrer Stirn. Jemand schien ihr Öl ins Gesicht gegossen zu haben. Sie zwinkerte mit den Augen, sie schluckte Speichel, und sie überlegte weiter, wie sich die Dinge wohl entwickeln könnten. Denn eins stand fest, obwohl sie es auch nicht so genau erlebte. Etwas war mit ihr geschehen.
Jemand hatte sie beeinflußt, mit ihr gespielt, sie unter seine Kontrolle bekommen. Nur empfand sie dies nicht als unangenehm. Sie hatte sich daran gewöhnt. Sie wußte auch, daß sie keinem Menschen in der Klinik von ihrem Verdacht und dem gleichzeitigen Wissen berichten würde.
Damit mußte, damit sollte sie allein fertigwerden. Alles andere konnte sie vergessen.
Es kam die Zeit, wo die Natur ihr Recht forderte. Helen Kern fielen die Augen zu.
Dabei kam es ihr vor, als wären ihre Lider mit Blei beschwert worden. Ganz langsam ging das, und es dauerte nicht lange, bis sie endgültig eingeschlafen war.
Dann aber kamen die Träume.
Sie hätte sich gern dagegen gewehrt, doch sie war zu schwach. Schlimme Träume peinigten sie. Die Bilder glichen Bahnen, die wie Stromstöße durch ihren Körper jagten und tief in ihr Unterbewußtsein eindrangen, wo sie sich unvergeßlich festsetzten.
Vögel sah sie.
Halb Mensch, halb Tier. Sie umflogen sie, sie jagten auf das Opfer zu, hackten so lange mit den Schnäbeln nach ihr, bis Helen auf dem Boden lag und nicht mehr war als eine blutige Masse.
Doch diese Masse zuckte, bewegte sich, formte sich wieder zusammen, bildete einen Körper, der wie Phönix aus der Asche aus dem dicken Blut hervortauchte und eine Neugeburt erlebte.
Sie war wieder da.
Und im Traum freute sie sich auf die Zukunft…
***
Jetzt stand Helen Kern wieder vor der geheimnisvollen Tür, hinter der einmal der Bärtige erschienen war. Doch diesmal war sie freiwillig gekommen und auch im Bewußtsein ihrer Stärke. Sie würde sich den Keller genau anschauen, und jetzt würde sie es sein, die sich die Opfer holte.
Helen streckte ihre rechte blutige Klaue aus und legte sie auf den eisernen Griff.
Der Druck nach unten. Es klappte, sie konnte die Tür aufziehen und atmete tief durch.
Vor ihr lagen die unheimlichen Räume, die versteckten Keller der Klinik. Helen betrat sie.
Und diesmal hatte sie überhaupt keine Angst…
***
Als Wladimir Golenkow leise lachte, ließen wir unsere Waffen sinken. Auf ihn brauchten wir nicht zu schießen, außerdem hatten wir den Russen erwartet.
Er ging weiter die Treppe hinab, und sein Lachen stoppte. Das blonde Haar hatte er zurückgekämmt und zuvor länger wachsen lassen. Durch diesen Schnitt wirkte ein Gesicht noch härter, beinahe wie geschnitzt, und auch die Wangenknochen traten scharf hervor. Man konnte ihm den slawischen Typ ansehen.
Er reichte uns die Hand. »Ich freue mich wirklich, daß ich euch hier finde.«
»Und du bist nicht überrascht?« fragte Suko.
»Nein.«
»Wir auch nicht«, sagte
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