0766 - Das Grauen von Grainau
den Keller. Bestimmte Türen konnten auch mit dem Zimmerschlüssel geöffnet werden. Da ich ihn bei mir trug, war es kein Problem. Sehr bald fand ich mich auf dem schmalen Uferweg unter der Terrasse wieder.
Um direkt an den See zu gelangen, mußte ich eine Treppe hinuntergehen. Hinter mir blieb das kleine, jetzt leere Hallenbad zurück. Durch eine große Scheibe konnte ich auf den Pool schauen. Sein Wasser schimmerte in einem hellen Blau, ganz im Gegensatz zu den Fluten des Eibsees, die grün aussahen und dort, wo die Sonne ihren Schein verteilte, heller wirkten.
Einige Liegestühle waren nicht mehr belegt. Ich hätte mir durchaus den einen oder anderen aussuchen können, aber zum Baden war ich nicht hergekommen.
Ich entdeckte auch wieder die barbusige Blondine mit ihrem Galan. Beide hockten am Ufer zusammen und tranken Champagner. Der mit Eis gefüllte Kübel stand neben ihnen. Die Frau kicherte wie ein Teenager, doch dem Alter war sie schon lange entwachsen. Dafür spürte der braungebrannte Typ noch die Reste der Eierschalen hinter seinen Ohren.
Ich ging an den beiden vorbei und sah links von mir einen Holzkiosk. Auch er wurde vom Hotel betrieben. Ein junges Mädchen stand dahinter. Es verkaufte Eis und Getränke.
Durst hatte ich keinen mehr, ging weiter und schaute den Wellen zu, die ans Ufer krochen.
Der Teil des Strandes war gesperrt worden. Nicht zum Hotel gehörende Badende mußten sich andere Plätze suchen.
Ich konnte bereits das Ende des Strands erkennen, wo einige Büsche wuchsen und die Tret- und Paddelboote am Steg lagen. Sie konnten für eine bestimmte Gebühr gemietet werden. Ein Stück weiter - außerhalb des Hotelgeländes - befand sich ein weiterer und weitaus größerer Verleih, wo auch mehr Betrieb herrschte.
Und dann hatte ich Glück.
Links von mir, wo der Kiesstrand in eine Einbuchtung hineinreichte, standen ebenfalls Stühle und auch Liegen bereit. Nicht alle waren belegt, doch eine Familie fiel auf.
Es waren die Davies!
Ich hatte Mühe, mich zu beherrschen. Im Moment der Entdeckung zuckte ich zusammen. Die Familie saß zusammen, sie bildete praktisch ein Dreieck. Sie schauten nach ›außen‹ und konnten jeden sehen, der sich näherte.
Plötzlich sah ich drei Augenpaare auf mich gerichtet. Man nahm mich zur Kenntnis, aber ich bemerkte die Feindseligkeit und auch das Mißtrauen in ihren Augen.
Es fiel mir nicht leicht, mich locker zu geben. Mein Lächeln fiel hoffentlich nicht zu gezwungen aus, denn ich konnte mir vorstellen, daß Verfolgte wie die Davies' auf alles achteten, was sich in ihrer unmittelbaren Nähe abspielte.
In der Nähe standen freie Stühle. Ich suchte mir einen aus und schaute auf den See hinaus. Die Familie Davies saß rechts von mir.
Daß hier nicht mehr Hotelgäste waren, hatte seinen Grund. Es gab zuviel Schatten. Hinter uns, wo der Spazierweg, der um den See herumführte, begann, standen knorrige, weit ausladende Bäume, die soviel Schatten gaben, daß Sonnenhungrige davon abgeschreckt wurden.
Es war ein wunderschönes Bild, das sich mir bot. Vor mir lag der See als türkisfarbene Fläche.
Leichte Wellen tanzten auf ihm. Die bunten Tretboote glitten lautlos über die Wasserfläche hinweg.
Ein hell gestrichenes Ausflugsschiff zog ebenfalls seine Runden und schob einen hellen Bart vor sich her.
Es war nicht still, aber die Geräusche - egal, woher sie kamen - verwehten. Sie erreichten meine Ohren, als kämen sie aus einer unendlichen Ferne.
Innerlich wurde ich nicht ruhig. Ich wußte ja, wer neben mir saß, und ich fühlte mich auch beobachtet.
Die Familie sah aus wie auf dem Foto. Nur trugen sie jetzt Freizeitkleidung. Der Mann eine helle Jeans und ein locker fallendes, giftgrünes T-Shirt, die Frau ein helles Top und eine kurze Hose, die viel von ihren langen Beinen sehen ließ, und der Junge hatte Bermudas an, die mit Comic-Figuren bedruckt war.
Sie unterhielten sich leise. Ich schauspielerte und tat so, als wäre ich eingeschlafen. Tatsächlich aber hielt ich die Ohren offen, denn ich wollte mitbekommen, worüber sich die drei unterhielten.
Leider sprachen sie so leise, daß ich nichts verstehen konnte. Und trotzdem baute sich etwas zwischen uns auf, das ich zunächst nicht erklären konnte. Es war ein Gefühl und gleichzeitig eine gewisse Spannung, als wäre die Luft mit Elektrizität geladen.
Schwingungen erreichten mich, die mir irgendwie nicht gefielen. So etwas war mir nur selten passiert. Ich hatte einfach keine Ahnung, was es bedeuten
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