0766 - Das Grauen von Grainau
umständlich ihre Taschen ab, rückten dann die Stühle zurecht und beobachteten mich aus den Augenwinkeln, wobei das Lächeln auf ihren Lippen wie eingefroren lag.
Beide trugen Bermudas. Sehr bunt bedruckter Stoff stand im krassen Gegensatz zu den weißen Tops, die nur von Spaghettiträgern gehalten wurden.
Die Blonde trug ihr langes Haar als Pferdeschwanz. Das ihrer Freundin war noch naß. Sie ließ es wohl in der Sonne trocknen. Es umgab ihr Gesicht in einer wahren Lockenpracht. Der kleine Kirschmund war zu einem Lächeln verzogen. Er paßte zu dem rundlichen Gesicht mit den braunen Augen und der nicht sehr ausgeprägten Nase. An ihrer Spitze stand sie etwas in die Höhe.
Die Blonde wirkte härter. Wenigstens was die Gesichtszüge anging. Schmal geschnittene Wangen, ein dünner Mund, die hohe Stirn, auf der sich Sommersprossen verteilten. Auch die eisblauen Augen paßten zu diesem Typ Frau.
Sie war es, die mich ansprach. »Ich heiße übrigens Audrey Houston.«
»Angenehm, John Sinclair.«
»Und mich können Sie Sally nennen«, sagte die Braunhaarige. Sie rückte den Stuhl etwas von ihrer Freundin weg, weil sie mir nicht den Blick auf den See nehmen wollte. »Mit vollem Namen heiße ich Sally Vincaro.«
»Freut mich, Sally.«
»Essen Sie ruhig weiter, John, und lassen Sie sich durch uns um Himmels willen nicht stören.«
»Danke.«
Die beiden schauten gemeinsam in die Karte. Ich spürte aber, daß sie mich dabei ebenfalls beobachteten und sich bestimmt Gedanken darüber machten, was mich hergetrieben haben könnte.
Ich hätte darauf wetten können, daß sie nur Salat bestellten, dem war auch so. Dazu tranken sie einen herben Weißwein. Sie wurden sehr schnell bedient. Dabei bedachten sie den jungen Ober mit provozierenden Blicken, und der Mann errötete leicht.
So ohne schienen die beiden nicht zu sein. Ich dachte daran, wie sich die Unterhaltung zwischen uns noch entwickeln würde.
»Sie machen hier auch Urlaub?« fragte Audrey, als sie an ihrem Wein genippt hatte.
»Ja, was sonst.«
»Ich weiß, es war eine dumme Frage. Normalerweise fährt doch ein alleinstehender Mann nicht hier an den Eibsee. Der sucht sich andere Reviere aus.«
»Welche denn?«
»Ich denke da an Ibiza, Mallorca, die Côte oder wie all die Aufreißparadiese heißen.«
Ich legte das Besteck auf den Teller. »Ach, wissen Sie, es gibt auch Leute, die mal Ruhe haben wollen. Sie hat es ja auch hierher verschlagen.«
»Aber aus anderen Gründen«, erwiderte Sally.
»Tatsächlich?«
»Ja, wir sind auf einem dreimonatigen Europatrip. Dafür haben wir lange gespart. Wenn das hier vorbei ist, geht es ab in den Süden. Italien und Griechenland.«
»Sehr schön. Wie lange wollen Sie hier noch bleiben?«
»Drei bis vier Tage. Wir sind ja schon eine Weile hier.«
Der Salat wurde gebracht, unser Gespräch schlief ein, und ich wünschte den beiden Frauen einen guten Appetit. Sie bedankten sich und schlugen richtig zu.
So nett es auch war, die beiden am Tisch zu wissen und kennengelernt zu haben, ich war aber nicht in Urlaub und mußte mich um andere Dinge kümmern.
Als der Ober dicht am Tisch vorbeistrich, winkte ich ihm zu und bat um die Rechnung. Er versprach, sofort zu kommen, dennoch dauerte es mehr als fünf Minuten, bis er erschien. Ich ließ die Summe auf die Zimmerrechnung schreiben und leerte mein Glas.
Audrey Houston schaute mich bedauernd an. »Sie wollen uns schon verlassen?«
»Leider. Da ich erst vor einer Stunde hier angekommen bin, möchte ich mich ein wenig umschauen.« Ich drehte mich auf dem Stuhl und griff nach meiner dünnen Jacke, die ich über die Lehne gehängt hatte. Meine Beretta hatte ich unter dem T-Shirt verborgen. Es war zum Glück so lang, daß es bis zu den Oberschenkeln reichte. Den geweihten Silberdolch hatte ich im Koffer gelassen.
»Wir werden uns doch noch sehen«, sagte Sally.
»Das bestimmt.«
»Heute abend?«
»Mal schauen.«
»Die Bar ist immer ein interessanter Platz«, bemerkte Audrey, wobei sie verheißungsvoll lächelte.
»Das kann ich mir denken.« Ich stand auf, schob den Stuhl zurecht und verabschiedete mich. Ich spürte die Blicke der beiden auf meinem Rücken brennen und mußte mich zwingen, locker zu gehen. Bisher hatte ich die Seeterrasse gut unter Kontrolle gehabt. Von der Familie Davies hatte ich nichts gesehen.
Wo konnten sie stecken? Vielleicht am See?
Ich beschloß, dort nachzuschauen und erkundigte mich, wie ich am besten dorthin gelangte.
Es führte ein Weg durch
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