0768 - Lady Bluthaar
sie.
»Nein, danke.«
Marion malte Figuren auf die helle Platte. Sie zeichnete mit der Zeigefingerspitze die dunkleren Einschlüsse innerhalb des Marmors nach. Ihr Blick war dabei ins Leere gerichtet. Sie sah aus wie jemand, der schon aufgegeben hatte.
»Ich kann diesen Fund einfach nicht vergessen«, flüsterte sie. »Ich… ich kann es nicht.«
»Das glaube ich Ihnen.« Suko hielt ihre Hand fest. »Aber Sie müssen sich auch von dem Gedanken befreien, daß es Teile Ihres Freundes gewesen sind. Das möchte ich Ihnen sagen.«
»Was macht Sie denn so sicher?«
»Meine Untersuchung. Dieser Knochen hat schon länger im Salzwasser gelegen.«
Marion hob die Schultern. Suko wußte nicht, ob sie ihm glaubte, er konnte es nur hoffen, denn für ihre Psyche war es besser. Sie mußte sich einfach von diesem schlimmen Gedanken befreien.
Die Bedienung brachte den Kaffee. Suko zahlte gleich. Er trank in kleinen Schlucken und spürte, wie ihn das Mädchen von der Seite her beobachtete. Marion lag eine Frage auf der Zunge, die sie sich noch nicht zu stellen traute, deshalb half Suko ihr.
»Welches Problem drückt Sie akut?«
»Ich kann es nicht genau sagen, Inspektor. Aber ich habe das Gefühl, als hätten Sie irgend etwas vor und sich für eine bestimmte Sache entschieden.«
»Das stimmt.«
»Und was werden Sie machen?«
Er lehnte sich zurück. Die Rückenlehne aus Metall drückte gegen seine Knochen. »Was ich vorhabe, Marion? Ich werde mich ein wenig umschauen, das ist alles.«
»Ohne mich?«
»Das ist besser so.«
»Verstanden.« Sie nickte. »Und wo wollen Sie hin?«
»Ich werde mich auf dem Meer umschauen. Ein Boot habe ich mir bereits gemietet.«
Überrascht und auch leicht entsetzt schaute sie den Inspektor an. »Sie wollen was?«
Er wiederholte die zwei Sätze.
»Aber das ist gefährlich. Das ist doch der reine Wahnsinn. Das ist Selbstmord!«
»Finden Sie?«
»Ja, ja!« Sie unterstrich ihre Antwort durch ein heftiges Nicken. »Das ist es.«
»Gut, Marion. Dann erwarte ich von Ihnen einen besseren Vorschlag, denn irgend etwas muß ich tun. Ich bin schließlich nicht hergekommen, um Urlaub zu machen.«
»Aber nicht so etwas!«
»Was dann?«
Marion schaute durch die offene Tür an der Rückseite in den lichterfüllten Garten. »Ich weiß es nicht, ich habe keine Ahnung.«
Suko lächelte. »Tja, dann bleibt es wohl bei meinem Vorsatz, nehme ich an.«
Sie schrak zusammen. Heftig drehte sie sich zu dem Inspektor um. »Und die Gefahr?« fragte sie dann. »Was ist damit? Denken Sie nicht daran, in welch eine Gefahr sie sich begeben?«
»Sie meinen Isabella?«
»Ja, Lady Bluthaar oder die Blut-Lady. Die wartet nur auf Männer oder Opfer wie Sie.«
Der Inspektor lächelte noch immer. »Vielleicht warte ich sogar darauf. Können Sie sich das vorstellen?«
»Nein, Suko, nein. Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich will einfach nicht daran glauben, daß sich freiwillig jemand in eine derartige Gefahr begibt. Tut mir leid.«
»Aber ich bin hergekommen, um einen Fall aufzuklären. Ich kann hier nicht untätig herumsitzen oder den Urlauber spielen. Sie haben meinen Chef und mich dazu überredet, nach Korsika zu kommen, und ich bin hier. Bitte, ich muß etwas für mein Geld tun.«
»Das stimmt schon«, murmelte sie. »Nur denke ich da jetzt ganz anders darüber.«
»Wie denn?«
Sie rang die Hände, schloß die Augen und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Suko. Ich weiß es einfach nicht. Das alles ist über mich gekommen wie ein gewaltiges Gewitter, dem ich nicht entgehen konnte. Man hat mich hier in Vorgänge hineingerissen, die ich nicht verstehe. Es ist alles so furchtbar und mit dem Verstand nicht zu erklären.«
»Das stimmt, und deshalb bin ich hier. Das ist gewissermaßen mein Job, Marion.«
»Ich kann Sie nicht beglückwünschen.«
»Das habe ich auch nicht erwartet. Aber ich muß etwas tun. Ich kann nicht hier hockenbleiben und darauf warten, bis noch mehr junge Männer verschwinden.«
»Das weiß ich ja.«
»Außerdem wollen Sie über das Schicksal Ihres Freundes ebenfalls Bescheid wissen.«
»Das weiß ich schon.«
»Wieso?«
»Tom ist tot.«
»Woher wissen Sie das?«
Sie trank ihren Kaffee. Die Hände zitterten beim Halten der Tasse. »Das fühle ich eben.«
»Manchmal können Gefühle auch täuschen.«
»Nein, Inspektor, nicht bei mir.«
Suko befand sich in einer Zwickmühle. Er wußte nicht, wie er dem Mädchen Hoffnung machen sollte, denn auch er selbst glaubte nicht
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