0770 - Die andere Seite der Hölle
drehte sich nach rechts. Vor ihr lag jetzt die Westseite der kleinen Kirche. Die Fenster im Mauerwerk wirkten wie Einschnitte. Das alte Glas hatte die Zeiten überstanden, als wollte es das unheimliche Geheimnis im Innern schützen.
Jane wußte genau, daß es sich an dieser Seite befand. Es war das große Rätsel, aber zugleich die Auflösung. Es stand in einer Wandnische verborgen. Es war nicht groß, aber wichtig.
Es war die schwarze Madonna!
Nicht die Maria, die Tochter der Anna und die Mutter des Heilands, nein, es war die Statue einer anderen Person, die man mal für heilig gehalten hatte, bevor sie auf dem Scheiterhaufen verkohlte, ähnlich wie die Jungfrau von Orleans.
Es war die Nonne!
Jane sah sie wegen der Dunkelheit noch nicht, aber sie spürte die Ausstrahlung, die sie wie ein kalter Hauch erwischte, der durch nichts zu stoppen war.
In der Lücke war die Kraft aus dem Jenseits konzentriert. Jane atmete tief durch.
Bevor sie auf die Nische zuging, mußte sie Luft holen. Es war einfach zu neu für sie, zu anders, auch wenn sie sich davor nicht fürchtete. Allmählich beruhigte sich die Detektivin. Die Stille in der Kapelle trug dazu bei. Eine innere Stimme redete ihr zu, daß ihr nichts passieren konnte. Alles würde gutgehen, sie durfte die schwarze Madonna nicht als einen Feind ansehen.
Über die Bank strich sie mit der Hand hinweg, als sie sich endgültig auf das Ziel zubewegte. Dabei ging sie sehr vorsichtig. Ihre rechte Hand hatte sie bereits in die Jackentasche gesteckt, wo die Finger den Stab der kleinen Lampe umschlossen.
Mit einem letzten Schritt erreichte Jane die Position, die sie auch hatte haben wollen. Jetzt stand sie direkt vor der Nische und starrte hinein.
Unzählige Spinnen hatten im Laufe der Jahrhunderte dort ihr Netzwerk errichtet. Wer genauer hinschaute, der entdeckte in der dunklen Nische die Figur.
Nicht unbedingt groß, vielleicht erreichte sie die Länge eines Männerarms. Sicherlich war sie schwer, denn sie bestand aus dunklem Gestein.
Jane kannte sie ja. Sie wußte auch, daß die Madonna kein Gesicht hatte, nur eine schwarze Fläche, umrahmt von der Kapuze aus Stein.
Jane holte die Lampe hervor.
Sie wollte sich nicht nur auf Ahnungen verlassen. Sie mußte einfach schauen, was sich in der Nische abspielte, denn sie hatte das Gefühl, als hätte sich etwas verändert.
Da nahm jemand zu ihr Kontakt auf. Sie spürte etwas Fremdes, das sich durch ihren Geist bewegte, das ihr aber gleichzeitig vertraut war.
Eine Stimme?
Schon, aber keine sehr laute. Mehr ein Wispern. Danach Worte, die leicht hämisch klangen.
Da wußte Jane Collins, wer mit ihr Kontakt aufgenommen hatte. Es war Elenor gewesen. Auf sie kam es an, sie stellte die Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart her.
»Das ist nett…«
Wieder die Stimme. Diesmal aber erschrak Jane Collins. Sie glaubte, daß ihr jemand etwas Glühendes durch den Körper gebohrt hatte. Diesmal waren die Worte nicht in ihrem Kopf aufgeklungen, sie hatte sie tatsächlich normal gehört.
Aber Elenor war nicht hier.
Etwas zwang Jane, die Hand aus der Tasche zu ziehen. Natürlich mit der schmalen Taschenlampe, und die schaltete sie ein. Der Strahl tastete das dichte Spinnennetz ab und brachte die hauchdünnen Fäden zum Glänzen.
Jane Collins hob den Arm, und der Lichtkegel wanderte mit. Er traf die finstere Figur in der Mitte, schwebte höher und erreichte das Gesicht der Figur.
Nun war es Jane, die einen Schrei ausstieß.
Sie war völlig überrascht, denn die Madonna hatte ein Gesicht.
Es war das der Elenor Hopkins!
***
Bösartigkeit, Heimtücke, Haß und Mordlust - all diese schlimmen Eigenschaften in den jetzt nicht mehr starren, sondern aufgeweichten Zügen. Es war abartig, und Jane fragte sich, weshalb sie dermaßen erschrak. Es war wohl mehr das Erschrecken vor dem eigenen Wissen, denn sie interpretierte noch etwas in den schlimmen Gesichtsausdruck hinein. Die böse Seite der Menschheit wurde ihr hier präsentiert, das absolut Schlimme. Da waren verschiedene Faktoren zusammengekommen und vereinigten sich in dem Gesicht der Madonna.
Das war keine Heilige, das war die Sünde. Die Inkarnation des Bösen, die in der Nonne gesteckt hatte, war gleichzeitig zu einer Reinkarnation geworden, die in diesem Fall den Namen Elenor trug.
Jane war gleichzeitig auch fasziniert. Ihre Gedanken jagten, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen.
Sie spürte die ungeheure Macht des Doppelwesens, und das genau war die Kraft, die
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